Aber auch inklusive GoldenEye bieten alle Darsteller-Debüt-Songs einen Einblick in die Eigenheiten der jeweiligen James-Bond-Interpreten.
"I've travelled the world to learn
Es ist wie gesagt nicht der Titelsong von Sean Connerys Debüt. DR. NO benutzte das Bondthema zur Untermalung der Titelsequenz, das ja zumindest eine instrumentale Charakterisierung von Bond darstellt. Aber From Russia With Love ist der erste klassische Titelsong, und damit nicht gänzlich ungeeignet für diese Betrachtung.
Gesungen wurde er vom Briten Matt Munro, der wie Sean Connery vor seiner Karriere im Show-Business als Lkw-Fahrer arbeitete. Munro sang später auch den von John Barry komponierten Titelsong zu BORN FREE, der den Oscar als bester Filmsong gewann.
Der Text des Liedes erzählt von einem Mann, der die ganze Welt inklusive Russland bereist hat - also vermutlich als Geheimagent - und nach all den Erlebnissen und Begegnungen weiser geworden ist, seinen jugendlichen Stolz überwindet und zu seiner großen Liebe zurückkehrt. Das nimmt in gewisser Weise die Entwicklung von Sean Connerys Bond vorweg, der in seinen ersten beiden Filmen ein ernsthafter und teils brutaler Kalter Krieger war und in seinen späteren Filmen immer mehr zu einer Selbstironie fand. In NEVER SAY NEVER AGAIN gibt er schließlich seinen Agentenberuf auf und lässt sich mit einer Frau nieder.
We have all The Time in the World, das Lied zum Debüt des Australiers George Lazenby, ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE, könnte die Fortsetzung von From Russia With Love sein. Gesungen mit einer fast brüchigen, warmherzigen Stimme von Louis Armstrong, beschreibt es einen Mann, der sein bisheriges Leben aufgibt, um mit seiner großen Liebe zusammenzuleben, weil er erkannt hat, dass Zeit kostbar ist und nur Liebe wirklich wertvolle Dinge bereithält. Das ist die logische Konsequenz von dem, was bereits Matt Munro Anfang der 1960er gesungen hat, was die Filme bis dato aber gar nicht gezeigt hatten.
Beide Lieder, From Russia With Love und We Have all the Time in the World, beschreiben einen weiser und einsichtiger gewordenen Mann - also letztlich James Bond - der mit einem Happy End aus seinem Job aussteigen kann. Nach ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE ist dieser Optimismus in Bezug auf die seelischen Auswirkungen des Agentenberufes jedoch vorbei.
Der Titelsong zu LIVE AND LET DIE, dem Debüt von Roger Moore, beschreibt folgerichtig einen Mann, dessen Beruf seine ursprünglichen moralischen Prinzipien zugunsten einer fatalistischen und pragmatischen Sichtweise hat erodieren lassen. Der von Beatles-Produzent George Martin produzierte und von Linda und Paul McCartney geschriebene Song spiegelt diesen Kontrast zwischen der früheren Unbekümmertheit und der 'Hölle' des alltäglichen Agentenberufes kongenial durch einen effektvollen Rhythmus- und Stilwechsel wider.
Auch dieser Text passt sehr gut zum Darsteller Roger Moore, der bei der Übernahme der Rolle tatsächlich mit dem Killer-Image von James Bond haderte. Berühmt geworden war Moore unter anderem durch seine Rolle als The Saint (der Heilige), und er hatte ein wesentlich leichteres und 'netteres' Image als Sean Connery, und war gerade dadurch bei einem großen Publikum sehr beliebt. Moore hatte insofern tatsächlich etwas sehr offenherziges und lebte als Gentleman eher nach dem Motto 'leben und leben lassen'.
Auch später bekundete Roger Moore immer wieder Unmut bei brutalen Szenen, etwa wenn Bond in FOR YOUR EYES ONLY (In tödlicher Mission) einen Gegner mit einem Fußtritt von einer Klippe stürzt. In seinem finalen Bondfilm A VIEW TO A KILL (Im Angesicht des Todes) hatte er dann die größten Probleme mit der Brutalität des Gegenspielers Max Zorin (Christopher Walken). Aber er war auch durch und durch Profi und ließ es sich nicht anmerken: "When you've got a job to do, you gotta do it well."
Mit dem Debüt des vierten Bonddarstellers Timothy Dalton legte man wieder verstärkt Wert auf eine realistische Darstellung des Spionagehandwerks, wie es Ian Fleming zum Teil beschrieben hat. Ähnlich wie beim vorherigen Film und dessen Lied ist auch der Text zum Titelsong für THE LIVING DAYLIGHTS etwas kryptisch.
Das von John Barry komponierte und von der norwegischen Band a-ha interpretierte Lied schildert ähnlich wie From Russia With Love und We Have all the Time in the World Bonds Empfindungen aus der Ich-Perspektive. Man hat den Eindruck, dass er sich auf einer Mission befindet und gejagt wird. In der ersten Zeile fragt er einen Fahrer, wohin er ihn fährt, und gibt zu, dass seine Nerven sehr angespannt sind. (Was innerhalb des Films dann eher auf Georgi Koskov zutrifft.) Bestimmte Hoffnungen (in Bezug auf die Mission?) haben sich zerschlagen. Der Morgen graut und die Scheinwerfer der anderen Autos erlöschen. Bond wünscht sich, dass jemand sagt: "Bewahrt die Dunkelheit, lasst sie nicht verblassen". Ein Wunsch, dass die Nacht, die ihn verbirgt, anhalten möge? Vielleicht sogar bezogen auf den langsam verblassenden Kalten Krieg?
"Einhunderttausend Menschen, aber ich bin es, den sie beschuldigen" - Ein Hinweis auf die große Verantwortung, die Bonds Beruf mit sich bringt. Die Lyrics passen aber ebenfalls sehr gut auf den Darsteller Timothy Dalton. Er legte sein Schauspiel transparenter an, ließ den Zuschauer seine nervliche Anspannung miterleben. Nachdem sein zweiter Einsatz LICENCE TO KILL hinter den erwarteten Einnahmen zurückblieben war, wurde Dalton dann beschuldigt, durch sein zu wenig augenzwinkerndes Spiel mit dazu beigetragen zu haben. Man erklärte das Franchise Anfang der 1990er sogar für tot, obwohl es nur durch einen Rechtsstreit gezwungenermaßen auf Eis gelegt war.
Aber Daltons Bond erfuhr auch eine spätere Rehabilitierung. Viele Fans preisen seine nah an Fleming angelegte Darstellung und sagen damit im Prinzip, dass man diese in dem Charakter angelegte Dunkelheit nicht verblassen lassen sollte.
Der Titelsong zum Debüt von Pierce Brosnan, GOLDENEYE, stellt eine Ausnahme in den Debüt-Titelsongs dar. Denn zum einen ist er von einer Frau interpretiert, der US-Amerikanerin Tina Turner, zum anderen nimmt er nicht Bonds Perspektive ein, sondern die eines Gegenspielers, der sich an ihm rächen will. Von der weiblichen Perspektive abgesehen passt das auf Alec Trevelyan, den Bond zu Beginn vermeintlich tot hinter den feindlichen Linien zurücklassen muss. Immerhin ist es der erste und eindeutigste Song, der die Ich-Perspektive des Gegenspielers einnimmt.
Aber auch hier gibt es eine sehr schöne Fan-Theorie, laut der der Text auch auf die Situation von Pierce Brosnan passt, der 1986 ursprünglich die Rolle übernehmen sollte, dann aber aufgrund vertraglicher Bindungen an Timothy Dalton abgeben musste. (Mehr zu diesem Vorgang hier.) Die Zeile "You'll never know how I watched you from the shadows as a child" würde in diesem Deutungsrahmen insofern Sinn ergeben, dass Pierce Brosnan als Kind GOLDFINGER im Kino sah und sehr beeindruckt war. Allerdings ist es aber sicherlich auch etwas übertrieben, Brosnan derart bittere Rachegefühle zu unterstellen. Vermutlich hatte er eine sehr nachvollziehbare Wut und Enttäuschung gegenüber den Produzenten von Remington Steele, war andererseits aber bestimmt Profi genug, sich davon nicht zu sehr leiten zu lassen.
Eine interessante Fußnote in diesem Zusammenhang ist, dass ein von der schwedischen Popband Ace of Base eingereichter Song mit dem Titel The Golden Eye zwar immer noch eine weibliche Stimme hat, aber eher Bonds Perspektive einnimt: "The road will take us to the end, I used to like you as a friend." (Das Lied, das ich übrigens besser als so manchen offiziellen Titelsong finde, wurde später in The Juvenile umbenannt und veröffentlicht.)
Das Lied zum Debüt von Daniel Craig CASINO ROYALE, You Know My Name, passt dann wieder perfekt zu den anderen Debüt-Songs vor GoldenEye. Es wird von einer männlichen Stimme interpretiert, nimmt Bonds Perspektive ein und handelt von seinem Seelenleben und seinem Beruf. Ähnlich wie Live and let Die und The Living Daylights ist es ein Lied, das für das Franchise ungewöhnlich raue und rockige Töne anschlägt, und gewissermaßen ein passendes Motto für Bonds Professionalität ausruft: Nach Leb und lass sterben, Bewahre die Dunkelheit und lass sie nicht verblassen nun Du kennst meinen Namen.
In Bezug auf die Umstände um Daniel Craigs Übernahme der Rolle passen die Lyrics auch hier erstaunlich gut auf eine übertragene Weise. Pierce Brosnans Beziehung zur Bondrolle begann 1986 nicht nur mit einer großen Enttäuschung, sondern endete auch mit einer solchen. Unzufrieden mit der Entwicklung seiner Filme nach dem ausufernden DIE ANOTHER DAY, ging er zusammen mit dem Regisseur und Autor Quentin Tarantino zu den Produzenten, um die Idee einer Verfilmung von Ian Flemings Erstling Casino Royale zu pitchen. Doch die Chancen standen gegen Brosnan und betrogen ihn sozusagen. Er wurde von Daniel Craig ersetzt, der dann die Hauptrolle in einer Verfilmung von Casino Royale übernahm. Obwohl Brosnan die Reihe nach all den Unkenrufen wieder zu altem Glanz verholfen hatte und und beim Publikum erfolgreich und beliebt war, bewahrte ihn das nicht davor, einfach abgeschossen zu werden und 'just next in line' zu sein.
Der Text des Songs, der von dem viel zu früh verstorbenen Chris Cornell interpretiert wurde, beschreibt die harte und erbarmungslose Herangehensweise von Daniel Craig sehr gut. 'The coldest blood runs through my veins' stimmt im Vergleich zu den früheren Darstellern.
Angefangen mit den sehr optimistischen und romantischen Stimmungen von From Russia With Love und All the Time in the World ist hier über die raueren Songs Live and let Die und The Living Daylights eine sehr pessimistische und brutale Sichtweise erreicht. James Bond musste sozusagen im Laufe der Zeit erkennen, dass ein Ausstieg aus seinem Beruf ohne größere seelische Schäden und Opfer nicht möglich ist. Eine Steigerung dessen scheint kaum mehr möglich, insofern ist es spannend, wie (oder sogar ob?) ein neuer Darsteller nach Daniel Craig besungen werden wird.
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