"A million shards of glass
That haunt me from my past."
(Writings on the Wall, Sam Smith)
Bond-Marathon #25: SPECTRE (2015)
Nach dem historischen Erfolg von SKYFALL versuchte man dringend, sowohl Daniel Craig als auch Sam Mendes für einen weiteren Bondfilm zu gewinnen. Für Mendes ließ man sogar ein Extra-Jahr verstreichen, um ihn an Theaterprojekten arbeiten zu lassen, und so ließ er sich noch einmal überreden.
SPECTRE führt zahlreiche Elemente des vorhergehenden Bondfilms fort, wie die Ereignisse aus Bonds Kindheit, das Thema der digitalen Spionage oder auch die verstärkte Einbinden britischer Drehorte. Dabei setzte man auf einen etwas lockereren Stil mit mehr Humor und klassischen Zutaten. Insgesamt tappt SPECTRE jedoch ähnlich wie QUANTUM OF SOLACE in die Fortsetzungsfalle und kann trotz vieler sehr gelungener Einfälle und Szenen nicht an den erfolgreichen Vorgänger anknüpfen. Vor allem die Geister der Vergangenheit, die in der Craig-Ära schon fast obligatorisch beschworen werden, wirken hier eher wie Halloweenfiguren.
SPECTRE kulinarisch
In Rom betätigt sich Bond als Witwentröster und schenkt sich und Lucia Sciarra (Monica Bellucci) Champagner ein, wirft die Gläser aber weg, als sie ihn ohrfeigt. Wie sagt M später im Film: "Es ist das Schicksal von Glas, zu zerbrechen."
In der alpinen Hoffler-Klinik bekommt James leider keinen Martini vom Barkeeper (Victor Schefé) serviert, dafür einen "proteolythischen Verdauungs-Enzymshake". Für ihn sicher ebenso verlockend wie der Löwenzahnsalat mit Ziegenkäse in Sag niemals nie. Da trinkt Bond lieber ein Bier, hier wieder der Marke Heineken, das ihm sogar bei einem Auftrag hilft und auf einen Geheimraum im Hotelzimmer aufmerksam macht.
Später im Oriental Desert Express bestellt Madeleine zwei Dirty Martini, in deren Genuss James aber wieder einmal nicht kommt. In dem Speisewagen ist aber auch eine Flasche Château Angélus zu sehen. Diesen Wein trank Bond mit Vesper auf der Fahrt nach Montenegro; insofern eine kleine Hommage an eine frühere Zugszene.
Im Vorfeld: Auf welche Elemente freue ich mich? Auf welche nicht?
Der vierte Bondfilm mit Daniel Craig ist ein sehr zwiespältiges Vergnügen. Visuell nicht so viel weniger beeindruckend als SKYFALL, vor allem in der ersten Hälfte. In der zweiten Hälfte macht der Film dann leider einige gravierende Fehler. Daher ist die Frage nach den guten und den schlechten Elementen relativ klar mit den beiden Filmhälften zu beantworten. Wobei man genauer sagen muss, dass es eher die ersten beiden Drittel sind, und es erst im letzten Drittel bergab geht.
Bewertungen:
Einführungssequenz / Vortitelsequenz: 14/15
Der Kampf im Hubschrauber hoch über der Stadt erinnert zudem etwas an die Vortitelsequenz von In tödlicher Mission, Bonds vorletzte Begegnung mit Blofeld. Kritikpunkt ist zum einen das zu übertriebene Color-Grading, zum anderen wirkt der einstürzende Häuserblock etwas too much.
Titelanimation: 12/15
Eingangsbereich von 007 Elements auf dem Gaislachkogel in Sölden |
Einige visuelle Ideen sind aber auch gut. Die schwarz-weißen Szenen mit den vielen Augen erinnern an Fritz Langs DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE oder auch an Salvador Dalís Traumsequenz für Alfred Hitchcocks SPELLBOUND (Ich kämpfe um dich, 1945). Nach der Noir-Hommage an Orson Welles in der Vortitelsequenz ganz passend.
Allow me to intruduce myself...
Einführungsszene von Bond: 14/15
Bond wird zusammen mit Estrella (Stephanie Sigman) während der Plansequenz gezeigt, jeweils mit Masken. Die Maske nimmt er erst im Hotelzimmer ab. Insgesamt eine sehr effekt- und phantasievolle Etablierung.
Einführungsszene des Haupt-Bondgirls: 12/15
Madeleine Swann (Léa Seydoux) ist Psychologin in der Hoffler-Klinik in Österreich, die Bond besucht.
Einführungsszene des Gegenspielers: 15/15
Die Spectre-Konferenz ist insgesamt wunderbar inszeniert und fotografiert, auch wenn die gesamte Sequenz stark von Stanley Kubricks EYES WIDE SHUT inspiriert ist. Christoph Waltz' erste direkte Szene ist in diesem Zusammenspiel wirklich atmosphärisch und gelungen.
Einführungsszene des Haupt-Henchman: 13/15
Mr. Hinx (Dave Bautista) erscheint ebenfalls im Zuge der Konferenz, wo er einen Spectre-Agenten durch seine stahlverstärkten Fingernägel tötet und dessen Platz einnimmt. Eine effektvolle und für Bondverhältnisse typische Einführung.
Besetzung und Schauspiel
Darstellung von James Bond: 12/15
Daniel Craig wirkt in seiner vierten Bond-Verkörperung ausgesprochen souverän, und ihm gelingt auch das Augenzwinkernde und Ironische größtenteils recht gut. Misstöne in der Darstellung gibt es für mich aber immer dann, wenn Bond durch etwas getroffen zu sein scheint, was Oberhauser tut. Beispielsweise in seinem Hauptquartier, als Oberhauser Madeleine die letzte Aufnahme ihres Vaters zeigen will. Das wirkt irgendwie falsch und übertrieben.
Gibt es Szenen, in denen Bond weniger sympathisch erscheint?
Gegenüber M (Ralph Fiennes) erscheint Bond etwas arrogant. Das ist untypisch für Bond, der gegenüber seinem Chef eigentlich immer einen gewissen Respekt gezeigt hat, auch wenn er nicht seiner Meinung war.
Darstellung des Gegenspielers: 7/15
Christoph Waltz mag ich als Schauspieler sehr, aber in diesem Film funktioniert seine Darstellung im Endeffekt nicht ganz. Das liegt zu einem großen Teil sicher auch daran, wie der Charakter im Drehbuch angelegt ist. Wirkt er während der Spectre-Konferenz noch recht bedrohlich, fehlt es späteren Szenen dann an funktionierendem Subtext.
Henchmen: 12/15
Detlef Bothe bei der Filmpremiere am Sony Center |
Bondgirl: 12/15
Auch die zweite weibliche Hauptrolle hat Stil, und mit Monica Bellucci auch ausnahmsweise mal die Altersklasse des Hauptdarstellers.
Helfer: 9/15
Jagdhaus Seewiese am Altaussee |
MI-6
Briefing-Szene: 12/15
War das 'Anti-Briefing' in Im Geheimdienst Ihrer Majestät, wo Bond von einem Auftrag abgezogen wird, statt einen zu erhalten, noch eine erfrischende Abwechslung, ist das mittlerweile die neue Normalität.
Das eigentliche Briefing findet eher durch die bereits verstorbene M (Judi Dench) statt, deren Videonachricht Bond in seiner Wohnung Moneypenny vorspielt.
Moneypenny-Szene: 12/15
Wie beim Vorgänger wird es schwierig, die eine Moneypenny-Szene - also den klassischen Vorzimmer-Flirt - zu bewerten, da Moneypenny den ganzen Film über zu sehen ist. Insgesamt hat Naomie Harris aber einige gute Szenen.
Omega Seamaster 300 in 007 Elements |
Q-Szene: 12/15
Dasselbe hier. Immerhin gibt es eine klassische Laborszene, die ganz gut gelungen ist. Ben Wishaws Q gefällt mir noch etwas besser als in SKYFALL.
Dramaturgische Struktur
Ist das auslösende Ereignis stark und interessant genug? 10/15
Auslösendes Ereignis ist Bonds Mithören der Pläne von Spectre und das Sicherstellen des Ringes, der auf eine geheime Organisation hinweist. Da Bond durch Ms Hinweis eh schon auf dieser Spur war, ist das nicht so beeindruckend wie andere Auslöser.
Hält der Film durchgehend eine gewisse Grundspannung aufrecht? 11/15
Finale allgemein: 4/15
Normalerweise würde ein Film in London beginnen, vielleicht mit einer Spurensuche in einer Bauruine, mit der vorzeitigen Sprengung als erster Actionszene, und im Finale dann eine riesige Feierlichkeit in Mexiko zeigen, samt Verfolgungsjagd und Kampf in einem schlingernden Helikopter. Aber so steht der Film in Bezug auf die Steigerung der Attraktionen völlig auf dem Kopf, ähnlich wie einige Brosnanfilme. Das ist, wie wenn Der unsichtbare Dritte mit der Kletterei auf dem Mount Rushmore beginnen würde, und mit dem betrunkenen Cary Grant am Steuer seines Wagens enden.
Showdown
Endkampf Bond - Henchman: 13/15
Der Kampf im Zug ist wirklich gut. Bis auf Hinx' Abtritt.
Installation bei 007 Elements |
Endkampf Bond - Schurke: 4/15
Ein völlig uninspiriertes Wortgeplänkel in der Ruine, dann holt Bond Oberhausers Hubschrauber mit ein paar Schüssen aus seiner Walther vom Himmel. Das ist bedrückend schwach, nach der ganzen sorgfältigen Etablierung von Spectre.
Wirkt die Auflösung nach dem Finale befriedigend? 6/15
Bond kündigt und fährt mit Dr. Swann ins Blaue, die das sicher auch als Therapie-Erfolg wertet.
Ist Bonds ermittlerische Vorgehensweise glaubwürdig und zielführend? 12/15
Das Sichern des Ringes ist gut, und verschafft Bond später Zugang zum Treffen und Informationen über die Organisation (auch wenn das mit den genetischen Spuren ziemlich übertrieben ist). Seine Entdeckung des Geheimzimmer im Hotel ist ebenfalls recht clever.
Allgemein
Durch zahlreiche klassische Elemente, wie Zugfahrt, Henchman, Verfolgungsjagd, Spectre-Konferenz, etc., gut vorhanden.
Fleming-Feeling: 9/15
Trotzdem gibt es einige sehr schöne Ideen, die an die Romane erinnern. Vor allem die Szene mit der Maus ist gut, und könnte tatsächlich direkt aus einem Buch stammen. Fleming orientierte sich mit Spectre auch an der italienischen Mafia, insofern ist die Konferenz in Rom auch passend.
Dialoge/Humor: 11/15
Manche Gags wirken zu bemüht, wie etwa der singende Senior im Fiat, den Bond anschiebt, um schneller voran zu kommen. Das ist eher Johnnie English. Viele Dialoge sind auch etwas zu forciert um die Themen Vertrauen, Sicherheit und Überwachung.
Logik/Schlüssigkeit der Story: 12/15
Der Plan von Spectre ist letztlich nicht sonderlich bedrohlich. In meiner Kritik zum Kinostart schrieb ich vor fünf Jahren "Wen stört eine Weltherrschaft, bei der alle freiwillig mitmachen?". Überwachung ist immer so ein Thema, das jeder brisant findet, aber eben nicht so sehr, dass man sich wirklich ernsthaft Gedanken darüber macht. Damit ist der Plan einer Total-Überwachung und der Zusammenlegung der Daten aller westlichen Geheimdienste aber auch eher realistisch. Wahrscheinlich ist das sogar schon längst realisiert worden, ohne dass es auf großen Widerstand gestoßen ist.
Handwerk
Produktions-Design: 12/15
SPECTRE-Fanart |
Die weiteren Kulissen sind ganz gut. Die Räumlichkeiten des MI-6 sind ähnlich wie in SKYFALL sehr rustikal und bilden einen Kontrast zum hypermodernen Glaspalast von C. Die Villa von Lucia Sciarra, der Ort der Spectre-Konferenz sowie das Innendesign des Zuges sind sehr klassisch und stilvoll. Die Hoffler-Klinik, Whites Hütte und Oberhausers Krater sind ebenfalls okay.
Spezialeffekte: 13/15
Es gibt in SPECTRE jede Menge unsichtbare Effekte. Von gepimpten Locations - wie das IceQ und einige Orte in Rom - über die Menschenmassen auf den Straßen von Mexiko Stadt bis hin zu der Maus im Hotelzimmer.
Action/Stunts: 11/15
Die Vortitelsequenz ist das absolute Highlight des Films. Die Verfolgungsjagd in Rom ist ganz gut, enttäuscht aber zum einen dadurch etwas, dass die Stadt fast verlassen ist, und dadurch ein bisschen der Hintergrund fehlt. Ich war selbst schon in Rom und habe die Stadt nachts nicht so menschen- und autoleer erlebt. Zum anderen hätte ich mir mehr und innovativere Gadgets gewünscht, und auch mehr Rasanz und Stunts. Bond hat während der Jagd noch Zeit zum telefonieren, das sagt eigentlich schon alles. Es fehlt der gesamten Sequenz ein bisschen an Höhepunkten und einer Steigerung. Da hatte die Verfolgung zu Beginn von QUANTUM OF SOLACE wesentlich mehr Adrenalin. Und wenn ich beispielsweise an die Paris-Jagd in MISSION IMPOSSIBLE: FALLOUT denke, dann ist das ebenfalls eine ganz andere Liga.
Der Aston Martin DB10 bei der Berliner Premiere |
Enttäuschend ist dagegen, wie leicht Bond und Madeleine aus dem Kraterversteck entkommen. Die gesamte finale Action gibt mir dann so gut wie gar nichts.
Bildgestaltung: 14/15
Die Fotografie steht dem Vorgänger SKYFALL nicht so viel nach. Nachdem Roger Deakins keine Zeit hatte, übernahm der Niederländer Hoyte van Hoytema, der mit Christopher Nolan an INTERSTELLAR gearbeitet hatte und für DUNKIRK später eine Oscarnominierung erhielt. Vor allem die Szenen in Marokko sind wunderschön. Etwas störend ist nur der übertriebene Gelbstich in der Vortitelsequenz und das Fehlen von reizvollen Motiven im letzten Viertel.
Locations
Drehorte: 12/15
Die Via Celio Vibenna am Kolosseum |
Rom ist an sich auch sehr schön, hätte aber noch wesentlich mehr Möglichkeiten geboten. Etwas schade finde ich, dass man bei der überwältigenden Zahl an Motiven in der Ewigen Stadt dann ein Gebäude in England nutzt und per CGI hineinsetzt. Ganz gut sind die Gegend um Altaussee, Obertilliach und auf dem Gaislachkogel, wo die Bond-Erlebniswelt 007 Elements eingerichtet wurde (die auch wieder geöffnet ist). Ein Highlight ist auch der Oriental Desert Express und der Gara Medouar Crater, in den man digital Oberhausers Versteck eingefügt hat.
Das Finale in einheimischen Gefilden ist dagegen wesentlich weniger reizvoll als im Vorgänger. Ein aus meiner Sicht unschöner Trend ist auch das digitale Verändern von Drehorten. So wurde beispielsweise das IceQ nahe Sölden per CGI vergrößert, Szenen in Rom nach Tanger verlegt und in Rom ganze Straßenzüge verändert. Dadurch geht ein wenig die Faszination des Echten verloren, das die Bondreihe geprägt hat. (Wobei das natürlich immer noch besser ist als gar nicht vor Ort gedrehte Szenen.)
Lokalkolorit: 12/15
Vor allem in Mexiko super. In Rom, Österreich, Marokko und London okay.
Kombination: 12/15
Man hat urbane Schauplätze wie London, Rom und Mexiko Stadt gut mit Schnee- und Wüstenlandschaften kombiniert. Rom ist zudem gut gewählt als Austragungsort des Spectre-Treffens, aufgrund seiner reichen Geschichte als Mittelpunkt des Römischen und des katholischen Imperiums.
Musik
Titelsong: 7/15
Von der Instrumentierung her gut. Die Stimme von Sam Smith sagt mir dagegen weniger zu. Es ist schon ein langer Weg vom kraftstrotzenden "So he strikes like Thunderball" zum weinerlichen "Is this where I give it all up"...
Allgemein: 11/15
Auch beim zweiten Mal hat der Einsatz von Thomas Newman (AMERICAN BEAUTY) gelungene Momente, vor allem beim Tag der Toten in Mexiko. Auch der Chor in den Romszenen hat was, sowie die Einarbeitung des Titelsongs. Viele Passagen wiederholen aber auch Elemente aus SKYFALL.
Fazit - Gewonnen oder verloren?
SPECTRE bleibt ein sehr zwiespältiger Film. Bis zur Ankunft im Krater in Marokko macht der Film Spaß, hat sehr klassische, schöne und atemberaubende Momente. Allein die kurze Szene nach dem Kampf gegen Hinx im Zug, als Bond und Madeleine sich küssen, während sie von vorbeiziehenden Lichtern gestreift werden, ist wunderschön. Zum Teil gefällt mir das sogar besser als im Vorgänger SKYFALL.
Die Vortitelsequenz überschlägt sich vor Attraktionen, Rom hat tolle Momente, die Spectre-Konferenz ist sehr stimmungsvoll eingefangen. Auch die Wiederbegegnung mit Mr. White und die Flucht von der Klinik hat durchaus tolle Momente.
Aber dann strömt die Inspiration aus dem Film wie das Blut aus einem abgeschlagenen Tentakel. Nach Anleihen bei Welles, Lang und Kubrick wird der Film zu einem bierernsten Aufguss von AUSTIN POWERS IN GOLDMEMBER. "Touch of Dr. Evil". Die Idee, Bond einen Stiefbruder zu geben, der dann zu Blofeld wird, ist die mit Abstand idiotischste, verblödetste Idee der gesamten Bondreihe. Ein klassisches 'jumping the shark'; ähnlich wie der Moment in INDIANA JONES AND THE KINGDOM OF THE CRYSTAL SKULL, in dem Indy in einem hunderte Meter weit fliegenden Kühlschrank eine Nuklearexplosion überlebt, ähnlich dem mit künstlichen Brustwarzen eiskunstlaufenden Batman in BATMAN & ROBIN oder einen unsichtbaren, tsunami-surfenden Bond. Aber anders als diese genannten Sachen kann man sie im nächsten Film nicht einfach ignorieren, denn man hat Blofeld nun so definiert.
Waren die Neu-Interpretationen der Gunbarrel, des Vodka Martini, der berühmten Vorstellung noch faszinierend und frisch, und die von Moneypenny, Q und M zumindest noch amüsant, wirkt dieses Konzept der Re-Innovation beim alten Erzfeind Blofeld und seinem Schurkenclub Spectre mittlerweile wie eine Parodie seiner selbst; und schreit selbst schon wieder danach, rebootet zu werden.
Dabei finde ich es grundsätzlich gut, zu solchen klassischen Elementen über einen Umweg wieder zurückzukehren, und auch wieder mehr Humor zuzulassen. Doch Regisseur Sam Mendes wirkt dabei ein bisschen, als sei das die lästige Pflicht, die man erledigen muss, um zur Kür zu gelangen. Als beispielhaftes Bild dafür empfand ich die Pressekonferenz, wo man Mendes dazu verdonnerte, den neuen Aston Martin DB10 zu enthüllen. Er wirkte dabei etwas gequält, und genau so fühlen sich viele Szenen in SPECTRE an. Die Verfolgungsjagd in Rom interessiert ihn beispielsweise so wenig, dass er dabei lieber ein Gespräch mit Moneypenny über Vergangenheit und Privatleben einbaut. Das an sich ganz schöne Kraterversteck wird mit der größten Explosion der Filmgeschichte pulverisiert, aber das so beiläufig, billig und uninteressiert, wie man das Licht in seinem Büro ausschaltet.
Die Verwandtschaft zu Bond soll dem alten, mit seinem verletzten Auge buchstäblich eindimensionalen Sixties-Recken Blofeld einen neuen Sinn, einen interessanten Subtext geben. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Alle Szenen zwischen Bond und "Blofeld", der eigentlich Oberhauser ist, fühlen sich falsch und gewollt an; phony, wie man im Englischen sagt. Das geht los mit der Folterszene, in der Daniel Craig angestrengt so tut, als könnte er seinen Kopf in einem Ring nicht bewegen, der offensichtlich fünf Zentimeter Platz rundherum lässt. Der alte Bruderneid wird dann von Oberhauser vorgetragen, als müsse er sich selbst für dieses billige Klischee rechtfertigen; und von Bond aufgenommen, als ob es ihn nicht kratzt. Wozu dann aber das Ganze?
Falsch und künstlich pathetisch fühlen sich auch alle Szenen an, in denen Bond so tut, als treffe Oberhauser einen wunden Punkt bei ihm. Furchtbar etwa in der Szene, als Bond Madeleine auffordert, nicht auf die Monitore zu sehen. Oder auch das "Du bluffst" später in der Bauruine. Überhaupt, dass Bond so schnell auf das "Ich heiße ab jetzt anders" seines Stiefbruders anspringt und ihn freiwillig "Blofeld" nennt, ist psychologisch völlig unglaubwürdig und gewollt. Das sind für mich die am wenigsten gelungenen Momente in Daniel Craigs Bonddarstellung.
Oberhausers "Das war alles ich", bezogen auf alle vorangegangenen Craig-Bonds, wirkt dann noch viel konstruierter als Silvas Plan im vorherigen Film. Man hat das Gefühl, dass man hier künstlich eine große epische Zuspitzung à la Marvels AVENGERS erzeugen wollte. Oberhauser/"Blofeld" wirkt mit seiner Narbe dann auch ein bisschen wie ein Comic-Schurke im Stil von Two-Face. Dann noch das Finale in einem baufälligen Gebäude, dessen Sprengung vorzeitig in Gang gesetzt wird - was man gefühlt schon mal seit dreißig Jahren in zig Fernsehserien gesehen hat, Madeleines plötzliches "Ach komm, lass mal lieber" und Bonds Entscheidung, für eine Liebelei nun doch mal ein bürgerliches Leben zu versuchen... All das wirkt so surreal unausgegoren, dass ich Cary Fukunagas Versuchung sehr gut verstehen kann, das in NO TIME TO DIE nachträglich einfach zur Folter-Halluzination von Bond zu erklären. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass das Ende mit heißer Nadel in letzter Sekunde gestrickt wurde, und ursprünglich einen Cliffhanger beinhaltete.
Das Bedrohungsszenario wirkt etwas zu abstrakt und beinhaltet nach GOLDENEYE und SKYFALL schon wieder Cyberkriminalität. Aber es hat auch einen subversiven Aspekt, wenn sich Spectre des Terrorismus und der Inszenierung von Weltkrisen bedient, um Regierungen zu einem bestimmten Handeln zu bringen. Sobald Südafrika im Film nicht den von Spectre initiierten 'gemeinsamen Weg' mitgehen will, geht die Zahl der Todesfälle im Land sprungartig nach oben. Orwell erscheint als Retter in höchster Not. Wenn Oberhauser mit Blick auf einen Meteoriten sagt, dass aus etwas Schrecklichen auch etwas Schönes und Sinnvolles entstehen kann, beschreibt das diese Vorgehensweise auf eine sarkastisch-metaphorische Weise sehr treffend.
Und so muss ich doch sagen, dass SPECTRE bei dieser Sichtung wieder etwas gewonnen hat. Während das dysfunktionale Ende für mich immer dysfunktional bleiben wird (auch wenn Gewöhnung wohl die treueste Freundin des Fans ist), nehme ich die positiven Elemente des Films stärker wahr, und kann sie mehr genießen. Der Film entwickelt sich trotz der sehr offensichtlichen Mängel zunehmend zu einem 'guilty pleasure', das der Bauch mehr genießt als das Hirn will. Auch wenn das Ende letztlich die Gesamtwirkung beherrscht, ist es über weite Teile doch ein sehr schön fotografierter und unterhaltsamer Film, zum Teil der klassischste seit langem. Wie zitierte Fleming in You Only Live Twice Robert Louis Stevenson: "It's better to travel hopefully than to arrive." In SPECTRE sollte man die Reise vor der Ankunft genießen.
Gefühlt: 9,5/15
Errechnet: 11,44/15
Also 75 % und eine 2 mit Tendenz nach oben: Die Leistungen entsprechen den Anforderungen voll.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die sich mit mir auf diese Reise durch die Zeit und die Welt von James Bond begeben und meine langen und ausführlichen Rezensionen verfolgt haben. Die Reise hat länger gedauert als ursprünglich geplant, angefangen im September 2018. Zwischendurch war der Blog einmal komplett gelöscht und der ganze Planet einmal komplett runtergefahren. Und das vorläufige Ziel der Reise, der neue Bondfilm Keine Zeit zu sterben, ist trotzdem noch in einiger Ferne. Gerne hätte ich den Marathon längst mit diesem Werk abgeschlossen. Aber mit etwas Glück geht es im November hier weiter, wenn es heißt:
James Bond will never return
Sehr schöne Reise durch die Bond Filme (bei denen ich zweimal in einer kleinen Rolle, sogar mit Sprechtext mitmachen durfte). Besonders liebe ich den Ausflug ins Kulinarische, wobei ich mir noch mehr Eingehen auf die Speisen (wie z.B. in Diamantenfieber) gewünscht hätte.
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