Mit leichter Verspätung möchte ich hier mal meine Meinung zu SPECTRE kundtun. Da die Premieren und das Startwochenende bereits hinter uns liegen, enthält der Artikel einige Spoiler.
Der jeweils vierte Film eines Bonddarstellers ist ein besonderes Vergnügen, in dem sich die jeweiligen Stärken, aber auch Schwächen seiner Ära deutlich abzeichnen. Der Darsteller kann in seiner vierten Inkarnation den Charakter so mühelos überstreifen wie ein Dinner Jacket. Wie ein erfahrener Pianist schafft er es mit zwei, drei Noten das Bondtheme anklingen zu lassen. Hier eine Geste, dort ein Blick.
Das "verflixte" vierte Mal
Ich denke da beispielsweise an Sean Connerys Geste am Spieltisch in THUNDERBALL, Roger Moores süffisanten "Etwas verfrüht, finden Sie nicht" in MOONRAKER oder das kurze Lächeln, mit dem Pierce Brosnan einem Diamantenhändler in DIE ANOTHER DAY die Sonnenbrille abnimmt. Schon die Bilder von Daniel Craig auf den Premieren von SPECTRE lassen ihn so bondig und lässig wie nie zuvor erscheinen. Daniel Craig IST James Bond. Weiterentwickeln kann er die Figur vor allem in den humorvollen Szenen. Wirkte er da bisher auf mich immer etwas bemüht, präsentiert er hier Oneliner und Situationskomik, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Das macht großen Spaß.
Aber gerade in dieser Vertrautheit liegt auch bereits der Schatten des Endes. Schauspieler suchen Herausforderungen. Eine Rolle, die schon zu einem guten Teil mit der eigenen Persönlichkeit verwachsen ist, wird schnell langweilig und sogar gefährlich.
Im ersten Film ist die Herausforderung noch riesig. Im zweiten gab man dem Darsteller dann mehr zu tun. TOMORROW NEVER DIES und QUANTUM OF SOLACE sind deshalb Actionfeuerwerke. Im dritten Film taucht der große ernsthafte Gegner auf; und im vierten dann kennt der Zuschauer seinen Reisebegleiter so gut, dass man mit ihm in wildere und gewagtere Gewässer navigieren kann. Zudem es gibt eine erste Rückschau und Reflektion des bisher gezeigten. Und hier zeigt sich dann oft bereits die Schattenseite der Ära. Connerys müheloses Machismo und der mechanische "Even Bigger"-Drang, die Tendenz zur Albernheit bei Moore, das richtungslose Mäandern zwischen den Welten bei Brosnan, es wirkte sich jeweils negativ auf die Dramaturgie des Films aus.
Bei Daniel Craig ist es die Beschäftigung mit dem Innenleben und der Vergangenheit des Helden sowie ein Bestreben, die bekannten Klischees zu kontrastieren, die hier erstmals aufgesetzt und unbefriedigend gelöst wirken. Timothy Dalton sagte einmal, dass Bond der klassische Fremde aus dem Western ist, der in die Stadt kommt, die Gangster erledigt und wieder in den Sonnenuntergang reitet.
Mit Craig ist Bond nicht mehr dieser Fremde. Man weiß, wann und wo er geboren wurde. Man weiß, wo, wie und mit wem er aufwuchs; welche Ereignisse seine Kindheit prägten, wer seine Eltern waren, wie sie hießen. Man weiß, wer ihn aufzog, mit wem er als Kind spielte. Wie er als Kind aussah. Man kennt seine große Liebe und wie er seinen Doppelnull-Status bekam. Die wichtigsten Ziele dieser Reisen in die Vergangenheit sind abgehakt. Natürlich könnte man jetzt noch seine Tante Charmain oder sadistische Lehrer in Eaton thematisieren, aber der Reiz ist mittlerweile überschaubar. Wird der nächste Darsteller nach Craig überhaupt noch dieser faszinierende Fremde sein können?
Am Ende von SPECTRE spürt man den Drang der Macher, kein beliebiges Ende mit Belohnungsbeischlaf und flottem Spruch abzuliefern. Es muss immer die große Geste sein. Aber es wirkt mittlerweile nicht mehr so faszinierend wie das "Bond. James Bond" in CASINO ROYALE, oder auch die Schlusszenen von QUANTUM OF SOLACE oder SKYFALL.
George Orwell lebt nur zweimal in Dr. Mabuses Kabinett in Casablanca
Bei der Berlinale 2014 saßen Barbara Broccoli und Christoph Waltz zusammen in der Jury. Ich könnte mir gut vorstellen, dass während dieser Zusammenarbeit die obligatorische Frage auftauchte, ob Waltz nicht mal einen Bondschurken spielen möchte. Waltz, der in Interviews oft betont, dass er jedes Rollenangebot erst einmal skeptisch betrachtet, sagte vielleicht nicht ganz im Ernst: "Aber nur, wenn ich Blofeld spielen darf, einen Mao-Anzug, eine weiße Katze und ein Versteck in einem Krater habe, und die Weltherrschaft anstrebe". Broccoli nahm vielleicht überraschend an, und beide merkten dann, dass sie sich mit diesem Deal nicht unbedingt einen Gefallen getan haben.
Tatsächlich hakt SPECTRE fast alle Blofeld-Klischees bis auf die Glatze ab, und die Modernisierung wirkt nicht immer geglückt. Nachdem EON 2013 die Rechte an der Figur erworben hatte, hatte ich hier mal einen Artikel zu einer möglicher Blofeld-Rückehr geschrieben. Mein Fazit damals:
Aber prinzipiell fehlt dem Charakter Blofeld etwas das Einmalige und Besondere. Vielleicht war das auch der Grund, warum man ihm so markante äußerliche Markenzeichen verpassen musste. Für das Phantomhafte, Ungreifbare ist er durch seine Organisation zu gebunden. Andererseits ist er auch nicht überdurchschnittlich wahnsinnig oder genial. Und damit stellt sich die Frage: Für was steht er, wofür ist er eine gute Metapher?
Bei aller Kritik am Film muss ich zugeben, dass man in diesem Punkt einen interessanten Dreh gefunden hat. Blofeld ist die Fleischwerdung von George Orwells berühmt-berüchtigtem "Watching Big Brother". Er ist der buchstäbliche Große Bruder, der alles sieht und überall ist. Und der alte Spectre-Octopus lebt ein zweites mal als Datenkrake. Das ist eine zeitgemäße und relativ glaubhafte Modernisierung. Vor allem wird es den literarischen und filmischen Vorbildern von Blofeld wie Fantômas oder Dr. Mabuse gerecht. Der wie immer wunderschöne Titel von Daniel Kleinman zeigt sogar ein direktes Zitat eines Motivs aus Fritz Langs DIE TAUSEND AUGEN DES DR. MABUSE von 1960.
George Orwell wird im Film sogar direkt erwähnt, und die Ironie der Geschichte ist, dass Orwell selbst jahrelang vom britischen Geheimdienst beobachtet wurde. Das hätte man in den Dialog einbauen können. "George Orwells schlimmster Albtraum." - "Und es war übrigens der britische Geheimdienst, der ihn ihm bescherte."
Sehen und verschwinden lassen
Dieses Motiv der Überwachung im digitalen Zeitalter verbindet den Film thematisch mit dem Vorgänger und gibt vielen Szenen eine interessante Hintergründigkeit. Während es in QUANTUM OF SOLACE um das Motiv des Trinkens ging (siehe hier), ist hier das Sehen, Nichtsehen und Augen an sich in verschiedenen Formen präsent. Handlanger Hinx zerquetscht seinen Opfern die Augen. Krähen hacken dem toten Mr. White die Augen aus. Madeleine sitzt sozusagen im Glashaus und benutzt Jalousien, um nicht gesehen zu werden. Später sagt sie im Rausch, dass sie Bond zweimal sehe. (and twice is the only way to see... ;) "Sieh nicht hin", sagt Bond zu ihr später. Und Blofeld büßt am Ende ein Auge ein.
Die Szene mit der Maus spielt auf das umgangssprachliche "Bei denen möchte ich mal Mäuschen spielen" an, was dank sozialer Netzwerke und Hackern ja mittlerweile ohne weiteres möglich ist. (Interessanterweise bezeichnet sich Bond auch selbst als Micky Maus.) Big Brother möchte die natürlichen Sichtweise der Menschen sozusagen zerquetschen und sie durch seine manipulierten Informationen ersetzen. Was vor allem im Zusammenhang mit Terroranschlägen und den Nachrichten darüber sehr interessant, fast schon subversiv ist. (Wenn Blofeld im nächsten Film ein künstliches Auge hätte, wäre die Metapher wohl perfekt.) Letztlich möchte er sich buchstäblich direkt in die Hirne der Menschen hinein bohren und ihr Denken und ihre Identität für immer verändern.
Die Anfangsszene mit dem Tag der Toten könnte man in diesem Zusammenhang als eine makabre Metapher auf die Gegenwart oder das Internet sehen, in der wir alle schon als digitale Zombies mit Blick auf das Smartphone durch die Welt stolpern, und in dem alle trotz der sozialen Inszenierung doch Masken tragen.
Allerdings muss ich sagen, dass sich Blofelds Sinn in dieser buchstäblichen Big-Brother-Verkörperung auch schnell erschöpfen könnte. Das Thema der digitalen Kontrolle gab es jetzt zweimal hintereinander. Das Problem ist auch, dass es als Bedrohungsszenario nur beschränkt funktioniert. Wen stört eine Weltherrschaft, bei der alle freiwillig mitmachen?
Und wenn die Symbolik erschöpft ist, bleiben wieder nur die Klischees und das alte Katz-und-(Micky)-Maus-Spiel. Dieses Spiel könnte Christoph Waltz genau so schnell ermüden wie Daniel Craig. Im schlimmsten Fall könnte sich die Erschaffung eines bösen Stiefbruders auch als der ultimative Haisprung der Reihe erweisen, denn im Gegensatz zu Tsunami-Ritts oder unsichtbaren Autos ist es nicht so leicht wieder rückgängig zu machen.
Die Überwachungs-Thematik hat auch gewisse ungewollte Ironien. Angefangen damit, dass Produktionsfirmen selbst alle sozialen Kanäle für die Promotion nutzen. Desweiteren spiegelt sich das Interesse für die Privatsphäre der Anderen, die die sozialen Netzwerken beherrscht, ja auch gerade in der Craig-Ära wider, wie schon erwähnt. Craigs Bond ist der, dessen private Seite am meisten erforscht wurde. Vom Zuschauer gleichermaßen wie von Blofeld. Insofern schließt sich hier ein Kreis. Und das Ende hat aus dieser Perspektive ebenfalls eine gewisse Ironie. Bond zieht sich ins Privatleben zurück, dessen Eroberung ja gerade das Ziel von Big Brother ist.
Einer flog übers Kuckucksnest
SPECTRE versucht neben der Neu-Interpretation von Blofeld auch etwas, was ich an sich sehr schätze: Die Verbindung der zum Teil noch losen, roten Fäden von CASINO ROYALE und QUANTUM OF SOLACE. Da man das aber nicht lückenlos leisten kann, rettet man sich auf eine etwas augenzwinkerndere Ebene. Leider bezieht man auch deutlich SKYFALL ein, der für sich sehr rund wirkte und gar keine losen Enden hatte, die es zu beantworten gilt. Was aber wohl vor allem der thematischen Verbindung geschuldet ist.
Und es fügt sich letztendlich auch alles ganz gut ein. Sowohl in CASINO ROYALE, QUANTUM OF SOLACE als auch SKYFALL ging es um Macht durch Terror. Le Chiffre streut Terror, um daran zu verdienen, Greene (Der grüne König?) erzeugt Unruhen durch Rohstoffverknappung und Silva nutzt Terroranschläge, um den MI6 zu schwächen. Das alles würde einem Plan von umfassender Überwachung und Datenspeicherung in die Hände spielen.
Trotzdem wirkt es am Ende von SPECTRE etwas gewollt und unrund. Das Problem ist meines Erachtens, dass man sich nicht sicher war, ob dieser Film die Craig-Ära abschließen oder Potential für weitere Filme liefern soll. Beides würde funktionieren, aber leider auch nicht so richtig. Im ersten Fall hätte Bond den großen Drahtzieher nicht ausgeschaltet, im zweiten müsste man in irgendeiner Form das Happy End zerstören.
Quo Vadis, 007?
Ich selbst bin da etwas zwiegespalten. Ich würde Craigs Bond nach all seinen körperlichen und psychischen Strapazen ein Ankommen wirklich von Herzen gönnen. Dann müsste der Nachfolger aber auch wirklich wieder bei Null starten. Andererseits würde ich weitere Filme mit Craig sehr gern sehen, jetzt wo er wirklich Bond ist.
Falls man mit Craig weitermacht, bieten sich mehrere Varianten an, die ich abschließend noch ansprechen möchte. Die naheliegendste wäre wohl die OHMSS-Lösung. Madeleine wird am Anfang von Bond 25 von Blofeld ermordet, wie Tracy in OHMSS oder vergleichsweise Marie in THE BOURNE SUPREMACY. Das würde mir nicht gefallen, aus den oben angesprochenen Gründen und weil CASINO ROYALE dieses Drama bereits perfekt geliefert hat. Denkbar wäre auch eine sanfte Variante davon, eine freiwillige oder unfreiwillige Trennung. Das könnte etwas von CASABLANCA haben, der in SPECTRE mit dem Hotel L'Americain ja eindeutig zitiert wird. Der heroische Verzicht auf die große Liebe zugunsten des Kampfes gegen das Böse. All das würde aber SPECTRE und seinen "Mut zum Happy End" nachträglich schwächen. Dann hätte man das lieber gleich in diesem Film zeigen sollen und Craig dann wirklich erst im letzten Film ein Happy End gönnen. Toll wäre hier ein Zweiteiler mit Cliffhanger gewesen, wie es ursprünglich wohl mal geplant war.
Letztendlich schwächeln sowohl die nachträglich übergestülpte Kontinuität als auch das Ende des Films ein wenig unter einer längerfristigen Perspektivlosigkeit der Produzenten. Auch in diesem Punkt steht das Franchise nach SPECTRE wohl an einem Scheideweg. Will man auf der einen Seite die große, mehrteilige 'epic journey', die mit ihren sorgfältig aufgebauten Fandoms und Showdowns Franchises wie HUNGER GAMES oder dem 'Marvel Cinematic Universe' regelmäßig Box-Office-Hits beschert, oder sollen Bondfilme für sich stehende, in sich abgeschlossene Events bleiben. Folgt man der aktuellen Hollywood-Strategie oder der Tradition. Beides zusammen harmoniert nicht so ganz, wie SPECTRE zeigt.
Dieser etwas zwiegespaltene und skeptische Eindruck ist aber wie eingangs erwähnt nur der erste. Daniel Craig sagte kürzlich in einem Interview: "Ich habe das Recht, meine Meinung zu ändern", und das beanspruche ich auch. Vielleicht wirkt SPECTRE beim dritten, vierten oder zwanzigsten Mal wesentlich runder und überzeugender. Denn letztlich ist alles eine Frage der PerSPECTive.
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