"You'll never know how I watched you
From the shadows as a child!"
(GoldenEye, Tina Turner)
Bond-Marathon #18: GOLDENEYE (1995)
Anfang der 1990er Jahre trafen drei Faktoren zusammen, die voneinander unabhängig waren, aber alle dazu beitrugen, dass James Bond als Franchise in Frage gestellt wurde: Die stetig sinkenden Zuschauerzahlen der 80er Jahre und die finanzielle Enttäuschung von Lizenz zum Töten - vor allem in Verbindung mit dem Aufstieg anderer Actionfranchises. Dazu kamen ein Gerichtsstreit um die Rechte an den Bondfilmen und schließlich der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges. Zum ersten Mal seit Ende der 1960er Jahre schien es nicht mehr selbstverständlich, dass es einen neuen Bondfilm geben wird, oder überhaupt geben sollte.
Aber wie so oft sind Krisen auch Chancen. Manchmal lernt man etwas erst zu schätzen, wenn es nicht mehr selbstverständlich ist. In dieser bondlosen Zeit wurde ich erst zum Fan. Auch viele andere Zuschauer besannen sich ihrer Kindheitserinnerungen, und zahlreiche Fanclubs wurden gegründet. Nicht zuletzt bedeutete die Krise auch für Pierce Brosnan einen Glücksfall, nachdem er als 1986 bereits der Presse vorgestellter Bond nun eine zweite Chance erhielt. Dementsprechend lasteten enorme Erwartungen und Hoffnungen auf GOLDENEYE, dem ersten Bondfilm der 1990er Jahre. Konnte der Film einer veränderten Welt - filmisch wie politisch - gerecht werden?
GOLDENEYE kulinarisch
In GOLDENEYE kommen verschiedene Spirituosen zu verschiedenen sozialen Anlässen zum tragen. Privat mit Freunden scheint Bond auch schon mal Bier zu trinken, wie der kumpelhafte Dialog mit Alec Trevelyan während des Einsatzes in Severnaya nahelegt. Die Psychologin, die ihn beurteilen soll, verführt er mit Bollinger Chamapgner im Aston Martin. Im Casino von Monte Carlo ordert er den legendären Wodka Martini. Die Kameraführung und das Setting der gesamten Szene ist eine Hommage an Bonds Gespräch mit Sylvia Trench in DR. NO.
Auch im Büro gibt es mehr als schnöden Kaffee. M serviert zum Briefing Bourbon der Marke Jack Daniel's. Interessanterweise zieht M es vor, ihre Informationen nicht wie die Amerikaner von CNN zu bekommen, beim Bourbon bevorzugt sie dann aber doch eine US-Marke gegenüber der schottischen Konkurrenz. Und Cognac gegenüber ihrem Vorgänger im Amt. Einmal mehr gilt im Bonduniversum: Du bist, was du trinkst.
Im Vorfeld: Auf welche Elemente freue ich mich? Auf welche nicht?
Bei keinem Film hatte ich wohl jemals wieder so viel Vorfreude wie bei GOLDENEYE. Der erste Teaser-Trailer im Kino hat mich einfach nur weggeblasen und den nachfolgenden Film völlig obsolet gemacht. Das Kinoerlebnis war dann etwas ernüchternd, was bei der Erwartungshaltung wohl fast unvermeidlich war. Der Film hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite mag ich Pierce Brosnan, die 'betonige' Kühle des Films und die Rückkehr zu leicht surrealen Elementen. (Mehr zum 20jährigen Jubiläum des Films und seinen Einfluss auf das Franchise hier.)
Auf der anderen wirkt der ganze Film auf eine seltsame Weise etwas verbissen und künstlich. Ein Eindruck, der wahrscheinlich durch die missglückte Musik verstärkt wird. Es gibt im Film - wie leider in allen Brosnanfilmen - Momente von groteskem Over-acting. Insgesamt ist ab den 1990ern ein deutlicher Bruch zur Reihe von 1962 bis 1989 zu spüren. In manchen Aspekten nicht unbedingt zum Schlechteren, etwa beim Titeldesign oder der Cinematographie. Bei anderen gibt es Ausschläge nach unten, wie hier bei der Filmmusik, die es so krass vorher nicht gab.
Bewertungen:
Einführungssequenz / Vortitelsequenz: 12/15
Der berühmte Staudamm aus der Vortitelsequenz |
Titelanimation: 15/15
Einstand für den britischen Designer und Regisseur Daniel Kleinman. Seine phantastische Arbeit für GOLDENEYE machte James Bond in diesem Bereich fit für das neue Jahrtausend. Die Titel mit kommunistischen Statuen und den Hammer-Girls sehen nicht nur faszinierend aus, sondern erzählen in spielerischer Weise auch die vergehende Zeit zwischen den realen Szenen.
Daniel Kleinman erschafft hier quasi aus dem Stand eine visuelle Sprache und eine eigene Bilderwelt, die die nachfolgenden Filme prägen wird, und die der von Maurice Binder geschaffenen in nichts nachsteht.
Die computergenerierte Gunbarrel gefällt mir dagegen weniger, da sie etwas zu glatt und sauber aussieht. (Hier ein Interview mit Daniel Kleinman)
Allow me to intruduce myself...
Einführungsszene von Bond: 14/15
Bond (Pierce Brosnan) ist erst von hinten zu sehen, und kurz von oben während des Absprungs vom Staudamm. Dann sieht man kurz seine Augen, dann sein Gesicht verkehrt herum und schließlich in voller Pracht, als er eine Tür öffnet. Sehr geschickt und visuell reizvoll aufgebaut.
Einführungsszene des Haupt-Bondgirls: 4/15
Natalya ist zuerst an ihrem Arbeitsplatz zu sehen, im russischen Großraumbüro. Diese ganze Sequenz gefällt mir am Film am wenigsten, denn sie wirkt größtenteils wie papierne Exposition. Man muss halt irgendwie etablieren, dass Boris ein Hacker ist und ein Trackingsystem entwickelt hat. Das ist alles nicht so wirklich lustig und durch die lange Abwesenheit Bonds in der Sequenz auch nicht so interessant.
Einführungsszene des Gegenspielers: 14/15
Hier kann man sich, ähnlich wie bei Kananga/Mr. Big in Leben und sterben lassen, streiten. Man sieht Alec Trevelyan das erste Mal in der Vortitelsequenz. Er bedroht Bond als vermeintlicher Wachmann und tritt dann aus dem Schatten. Im buchstäblichen Sinne ein gelungenes Foreshadowing von Alecs späterer Rolle.
Visuell sehr gut ist dann auch sein Auftritt in der Mitte des Films. Bond und Trevelyan treffen sich auf dem 'Friedhof der Ideologien'. Ein gelungenes Set mit effektvoller Ausleuchtung.
Einführungsszene des Haupt-Henchman: 13/15
Xenia Onatopp (Famke Janssen) überholt Bond in ihrem Ferrari, nimmt ihre Sonnenbrille ab und lächelt Bond zu. Eine sehr dynamische, gelungene Szene. Getrübt wird das nur durch das hölzerne Over-acting der Psychologin neben Bond.
Besetzung und Schauspiel
Darstellung von James Bond: 12/15
CD-ROM zur Bondreihe, Modelle, Buch zum Film und VHS |
Man merkt, dass sich Brosnans Rollenauslegung deutlich von der Daltons unterscheiden soll. Regisseur Martin Campbell wollte, dass Bond niemals wirklich aus dem Konzept kommt. Während Daltons Bond im vorigen Film oft deutlich aus seiner Komfortzone getrieben wird. Das wird vor allem im Gespräch mit M deutlich, als sie Bond darauf hinweist, keine persönliche Vendetta aus der Mission zu machen. "Niemals", antwortet Bond. Brosnans Bond würde Leiter wohl ebenso wenig auf eigene Faust rächen, wie Connerys Bond alles für Tracy aufgegeben hätte.
Gibt es Szenen, in denen Bond weniger sympathisch erscheint?
Keine bestimmte. Die Szenen, in denen Bond mit dem Maschinengewehr die Gegner niedermäht, sind natürlich etwas fragwürdig und auch eher untypisch für den klassischen 007-Charakter. Das ist aber auch der Entstehungszeit geschuldet. Das Actiongenre entwickelte sich in den frühen 90ern hin zu einer ästhetisch über-stilisierten Brutalität, durch Stahlgewitter wie TERMINATOR 2 - JUDGMENT DAY (1991), vor allem aber durch Vorbilder aus Hongkong und Frankreich. Nicht umsonst wollte man wohl John Woo als Regisseur, und mit Tchéky Karyo und Eric Serra sind zwei der Protagonisten des französischen Actionkinos vertreten. Regisseur Martin Campbell selbst war mit NO ESCAPE (Flucht aus Absolom, 1994) ein Vertreter dieser ästhetisierten Gewalt.
Insgesamt hat man in den Brosnanfilmen immer etwas das Gefühl, dass sich Bonds 'Coolness' als Actionheld über die Brutalität seinen Gegnern gegenüber definieren soll. Diese Verbissenheit spiegeln auch Aussagen von Pierce Brosnan in Interviews vor GOLDENEYE wider, laut denen er Arnold Schwarzenegger und anderen Actionhelden in den Hintern treten wolle, und sie verschwinden sollten, weil sie nur von Bond abgekupfert hätten. Diese Philosophie spürt man auch noch deutlich in CASINO ROYALE, wo sie dann aber auch reflektiert wird und durch das tragische Ende funktioniert.
Darstellung des Gegenspielers: 12/15
Der deutsche Sprecher Norbert Langer, unsterblich geworden als Stimme von Thomas Magnum (Ich weiß genau, was Sie jetzt denken, und Sie haben recht...), funktioniert leider für mich nicht so richtig auf den raubeinigen Sean Bean.
Henchman: 12/15
Xenia Onatopp erinnert stark an Fatima Blush in Sag niemals nie. Mit ihr kehrt die Eon-Bondreihe zu einer aggressiven Sexualität zurück, die in den Filmen von Roger Moore und Timothy Dalton etwas an Bedeutung verloren hatte. Stellenweise wirkt sie etwas zu aggressiv und plakativ, insgesamt aber ein recht gelungener Charakter mit ikonischem Potential.
Zu ihr gesellen sich General Ourumov, verkörpert vom deutschen Schauspieler Gottfried John, der den ehemaligen Sowjet-Hardliner als fahrigen Alkoholiker darstellt. Eine interessante Figur, die leider ebenso schnell entsorgt wird wie der charismatische Tchéky Karyo als russischer Verteidigungsminister.
Alan Cumming gibt als Boris Grishenko den typischen Klischee-Computernerd der Neunziger Jahre, ungepflegt und hyperaktiv. Eine der nervigsten und furchtbarsten Figuren der gesamten Reihe.
Bondgirl: 12/15
Helfer: 11/15
Joe Don Baker, der Waffenhändler aus Der Hauch des Todes, ist hier zurück als CIA-Kollege Jack Wade. Er ersetzt Felix Leiter, der im vorigen Bondfilm schwer verletzt wurde, und ist als schrulliger, aber sympathischer Außenseiter angelegt, was okay ist.
Ein schauspielerisches Highlight des Films ist Robbie Coltrane als Waffenhändler Valentin Zukovsky, der als einer der wenigen seine Rolle auf den Punkt spielt.
MI-6
Briefing-Szene: 13/15
Judi Denchs Debüt als M. Man hat insgesamt ein bisschen das Gefühl, dass die Szenen mit ihr und Samantha Bond eher für die Kritiker als für die Normalzuschauer geschrieben wurden, um Vorwürfe, Bond sei nicht auf der Höhe der Zeit, von vornherein abschmettern zu können: "Seht her, M bezeichnet Bond als sexistischen Dinosaurier, Moneypenny wirft ihm sexuelle Belästigung vor, wir haben also unsere Hausaufgaben gemacht!" Da Denchs M relativ neu als Chefin zu sein scheint (die Besetzung wurde von der echten MI-5-Direktorin Stella Rimington inspiriert, die heute Agententhriller schreibt), wirkt es hier noch relativ glaubwürdig. Sie kritisiert Bond und missbilligt seinen Lebensstil, ist aber auch kompetent genug, auf seine Instinkte und seinen Rat zu hören.
Durch den subtilen Schlagabtausch holt man hier aber mehr heraus als die übliche Exposition von trockenen Fakten. Auch das Büro-Setting ist gelungen modernisiert.
Moneypenny-Szene: 2/15
Die am wenigsten gelungene und nervigste Moneypenny-Szene für mich. Moneypenny muss Bond nicht seufzend hinterher schmachten, aber dieses Anbiedern an den vermeintlichen Zeitgeist wirkt auf mich noch unpassender. Man hört förmlich das Papier knistern bei diesem Dialog und fragt sich, ob sich die beiden jeden Tag im Büro so gestelzt unterhalten.
Dass die Szene einen rein zeitgeist-politischen Zweck hat merkt man auch daran, dass man sie komplett herausschneiden könnte, ohne die Handlung irgendwie zu beeinträchtigen.
Q-Szene: 12/15
Die Szenen in Qs Labor dürfen ein bisschen klassische Atmosphäre versprühen. Die Gadgets wie Gürtel mit Harpune (eine Weiterentwicklung des Kummerbunds mit Seil aus dem vorigen Film) oder Laseruhr sind okay. Die Präsentation des BMW Z3 wirkt dagegen ein wenig wie ein Werbespot, zumal die erwähnten Gadgets später gar nicht zum Einsatz kommen. Dramaturgisch extrem unklug. Im Theater heißt es, wenn man eine Pistole auf die Bühne bringt, muss man sie auch abfeuern. Das gilt für Stinger-Raketen umso mehr.
Dramaturgische Struktur
Ist das auslösende Ereignis stark und interessant genug? 14/15
GoldenEye-Flipperautomat |
Hält der Film durchgehend eine gewisse Grundspannung aufrecht? 11/15
Finale allgemein: 12/15
Die Idee der im See versteckten Satellitenschüssel ist recht gut und erinnert an den Vulkan in Man lebt nur zweimal. Auch das Innendesign der Anlage ist eine gute Mischung aus realistisch und over-the-top. Getrübt wird das Ganze für mich durch den nervigen Boris, dessen Gehampel dann auch noch in den Kampf zwischen Bond und Trevelyan montiert wird. Boris' schreiendes Gesicht in das Ende des Kampfes zu schneiden, finde ich als Regie-Entscheidung idiotisch. An dieser Stelle wirkt der Film wie eine Comic-Verfilmung.
Gibt es eine Steigerung des Sensationswertes bis hin zum Finale, das alles andere überschattet? 11/15
Die Vortitelsequenz und die Panzerjagd sind größere Highlights als das Finale, das aber noch nicht so stark abfällt wie in kommenden Brosnan-Bonds.
Endkampf Bond - Henchman: 12/15
Die Auseinandersetzung mit Xenia ist recht kurz, aber ganz gut. Die Szene, als Bond wach wird und einen Helikopter über sich wahrnimmt, erinnert etwas an den Film PERFECT WORLD von 1993. Und das Dschungelsetting wirkt wie eine Studiokulisse.
Endkampf Bond - Schurke: 13/15
Ein ganz gut choreografierter Zweikampf.
Wirkt die Auflösung nach dem Finale befriedigend? 8/15
Der Gag mit Wades Männern geht okay, wobei ein echter Angriff der Armee schon ein bisschen beeindruckender gewesen wäre. Die Aussicht, zur Lagebesprechung nach Guantanamo geflogen zu werden, hat mittlerweile auch nicht mehr so einen fröhlichen Beigeschmack.
Ist Bonds ermittlerische Vorgehensweise glaubwürdig und zielführend? 12/15
Bond erkennt schnell die Verschwörung, die schließlich in der Entführung des Helikopters kulminiert. Auch seine Kombination bezüglich der Satellitenwaffe erweist sich als richtig. Er kann das Vertrauen eines ehemaligen KGB-Agenten gewinnen und mit dessen Hilfe auf die Spur von Janus kommen.
Allgemein
Durch Brosnan, die Schauplätze, das Casino, etc. vorhanden. Störend wirken die ausgedehnten MG-Orgien und allem voran die musikalische Untermalung.
Fleming-Feeling: 6/15
Dialoge/Humor: 7/15
Hier ist ein bisschen der hintergründige Witz eines Richard Maibaum verloren gegangen. "Boys with toys", "So you can be a hero?", das wirkt teilweise leicht aufgesetzt und bemüht.
Logik/Schlüssigkeit der Story: 11/15
Trevelyans Plan ist vergleichsweise nachvollziehbar und hat sogar einen physikalisch plausiblen Hintergrund. Entsprechende EMP-Waffen wurden tatsächlich geplant, und es wäre im Bereich des Möglichen, dass die UdSSR so etwas realisiert hätte. Etwas seltsam wirkt, dass Bond, nachdem er die Innenstadt von St. Petersburg in Schutt und Asche zerlegt hat, noch unbehelligt und kilometerweit mit einem Panzer durch die Gegend fahren kann.
Die größte Kröte, die der Zuschauer in Bezug auf die Plausiblität schlucken muss, ist aber sicherlich der Hintergrund von Alec Trevelyan. Es wird die Lienzer Kosakentragödie 1945 erwähnt, die Trevelyan als Kleinkind miterlebt haben soll. Tatsächlich ist Darsteller Sean Bean aber erst 1959 geboren, 14 Jahre später. (Mehr zu diesem historischen Hintergrund hier.)
Handwerk
Produktions-Design: 12/15
Die Anlagen der Severnaya-Station sowie des kubanischen Stützpunktes sind gut und haben einen eigenen shabby soviet chic, der wohl auch einen Teil des Reizes des gleichnamigen Computerspiels ausmachte. Dazu gehört auch Trevelyans Panzerzug, der etwas an Stelnikows Zug in DOCTOR ZHIVAGO erinnert und während der Produktion 'Darth Train' genannt wurde. Auch das Kostümdesign ist gelungen.
Spezialeffekte: 12/15
Die Modellaufnahmen sind sehr detailliert und liebevoll. Schön, dass man hier mitten im CGI-Goldrausch auf traditionelle Tricktechniken zurückgegriffen hat. Bei den Weltraumszenen wirkt die Erde im Hintergrund leider sehr verwaschen und undeutlich. Hier wirkten beispielsweise entsprechende Szenen in UNDER SIEGE 2 (Alarmstufe: Rot 2, 1995) besser.
Action/Stunts: 12/15
In Kinozeitschriften wie der CINEMA waren von EON freigegebene Storyboards abgedruckt, die deutlich aufwendigere Actionsequenzen darstellen. Kein kluger Schachzug der Produktion. |
Gemessen an den Erwartungen und vorab veröffentlichten Storyboards wirkt die Action insgesamt aber dann doch etwas gedrosselt. (Wobei man sagen muss, dass James Camerons TRUE LIES die Latte hier extrem hoch gelegt hat.) Eine Brücke, die durch die Explosion des Zuges einstürzt - ähnlich wie im Finale von Der Hauch des Todes, wurde ebenso aufgegeben wie der finale Angriff von Xenia mit einem Helikoper, an dem rotierende Sägen befestigt sind. Die Sequenz wurde dann erst zwei Filme später in Die Welt ist nicht genug realisiert. Entsprechende Modelle der Sägeblätter sind im Making-of zu sehen, ebenso wie ein nicht eingesetztes Q-Gadget: Ein in einer E-Gitarre eingebauter Flammenwerfer.
Insgesamt fehlt den Actionszenen manchmal auch etwas die Rafinesse früherer Bondfilme. Ich mag es mehr, wenn Bond sich beispielsweise aus einer Horde feindlicher Taucher mit einer Harpune rettet und dann wasserski-fahrend ein Flugzeug entert, als wenn er sich mit Maschinengewehr oder Panzer einfach den Weg frei ballert oder walzt.
Bildgestaltung: 14/15
In dem Punkt wirkt der Film gegenüber den Bondfilmen der 80er Jahre wesentlich anspruchsvoller und ambitionierter. Regisseur Martin Campbell brachte den britischen Kameramamnn Phil Meheux mit, mit dem er bereits an NO ESCAPE (Flucht aus Absolom, 1994) gearbeitet hatte. Campbell und Meheux arbeiten sehr viel freier und experimenteller mit Perspektiven, Lichtsetzung, Brennweiten und Kamerafahrten, als man das aus den Bondfilmen unter Regie von John Glen kannte. Dadurch gelingt es Campbell auch, aus den begrenzten Produktionsbedingungen und den zahlreichen Studiosets einen stylish aussehenden Film herauszuholen. Der Film wirkt optisch auf der Höhe der Zeit, was angesichts von manchem Beitrag aus den 1980ern nicht so selbstverständlich ist.
Was auf mich dagegen jedes Mal sehr unstimmig und un-organisch wirkt, sind viele Szenenübergänge. Schnitt von einer fliegenden MIG auf einen Londoner Doppeldecker-Bus, oder von Qs Gipsbein-Rakete auf einen aus dem BMW schießenden Fallschirm. Diese schnitt-technisch verdoppelte Bewegung funktioniert für mich leider nicht. Auch gegen Ende gibt es einige dysfunktionale Schnitte.
Locations
Drehorte: 11/15
Die Absprungstelle am Staudamm heute - ein Mekka für Bungeespringer |
In Sankt Petersburg durfte man weniger drehen als geplant, da die Szenen mit dem Panzer die Geduld der Stadtväter etwas zu sehr strapazierten. Sicherlich war die Pracht der alten Zarenstadt Mitte der 1990er noch nicht wieder voll erblüht, trotzdem wirkt die Stadt etwas verschenkt. Man hat nie wirklich das Gefühl, tatsächlich mitten in Sankt Petersburg zu sein. Zumal viele Szenen auch in London entstanden.
Ganz gut ist Puerto Rico, wo man die Strandszene mit Bond und Natalya filmte, ein paar Szenen mit dem BMW (der eigentlich völlig umsonst vom MI-6 dorthin verschifft wurde) und das Finale an und auf der riesigen Satellitenantenne. (Mehr zu dieser faszinierenden Anlage hier.)
Lokalkolorit: 10/15
In Monte Carlo ganz gut vorhanden, in Sankt Petersburg weniger und in Puerto Rico gar nicht.
Kombination: 11/15
Musik
Titelsong: 14/15
Neben Skyfall der wohl ikonischste Bondsong der post-klassischen Ära. Wie beim Score merkt man die sehr deutliche Orientierung an Goldfinger. Das Lied hat einen interessanten Text, der einer faszinierenden Fantheorie zufolge nicht nur die Gefühle von Alec Trevelyan 006 nach den Ereignissen der Vortitelsequenz beschreibt, sondern auch auf die Perspektive von Pierce Brosnan passt, nachdem er als schon bestätigter Bonddarsteller aufgrund einer sadistisch ausgespielten Vertragsklausel an Timothy Dalton abgeben musste. (Siehe dazu beispielsweise hier.)
Geschrieben wurde es von Bono und The Edge, die mit Hold Me, Thrill Me, Kiss Me, Kill Me für BATMAN FOREVER (1995) ebenfalls einen sehr bondig klingenden Song schrieben.
Allgemein: 3/15
Bis dato der filmmusikalische GAU. Was nicht heißt, dass der Score von Eric Serra nicht auch seine Momente hat. In der Eröffnungssequenz im kalten Sibirien wirken die stählernen, bedrohlichen Klänge noch ganz passend und unterstützen sogar die Atmosphäre. Auch die melancholische Untermalung der Casinoszenen ist ganz okay. (Daher auch eine 5+) In vielen entscheidenden Szenen finde ich die Musik jedoch völlig deplatziert, dysfunktional und auf eine fast historische Weise verschenkt. Wenn Bond beispielsweise mit dem Flugzeug über die Felskante fliegt und im Hintergrund die Fabrik explodiert, wäre eine fanfarenartige Musik in irgendeiner Form passend gewesen. Zumal das die triumphale Rückkehr Bonds nach einer historischen Filmpause visualisiert. Stattdessen hört man nichts, nur das öde Dröhnen des Propellers. Szenen wie diese schreien in Bondfilmen geradezu nach Untermalung, und dadurch, dass der Film sie verweigert, wirkt das Gezeigte oft seltsam kalt und dysfunktional. Streckenweise scheinen Bildregie und Musik förmlich gegeneinander zu arbeiten, statt miteinander.
Das ist insofern sehr schade, dass ich Serras Musik für die Luc-Besson-Filme sehr mag. Vermutlich muss man der Produktion hier eine Mitschuld geben, denn die sollte nicht einfach jeweils funktionierende Elemente aus grundverschiedenen Filmen zusammenwürfeln, sondern die gesamte Harmonie im Blick haben. Dazu kam auch noch, dass Serra wenig Zeit blieb. Das war wahrscheinlich mit ein Grund, warum er mit The Experience of Love einen Song recycelt hat, den er eigentlich für LÉON geschrieben hat, und der wenig bondig klingt (mal abgesehen von diesem gruselig schlechten Stimmchen).
Lobend hervorheben muss man die Musik für die Panzerjagd, die der britische Komponist John Altman innerhalb kürzester Zeit erstellte, nachdem Serras Musik dafür bei allen Beteiligten blankes Entsetzen ausgelöst hatte. Altmans Beitrag zum Film insgesamt ist daher wohl nicht gerade gering. Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Panzerjagd beim ersten Kinobesuch sehr befreiend wirkte, und der Film für diese Szenen erstmals so etwas wie Witz und Warmherzigkeit hatte.
Fazit - Gewonnen oder verloren?
Mit GOLDENEYE beginnt die 'Next Generation' der Bondfilme. Albert R. 'Cubby' Broccoli musste alters- und krankheitsbedingt die Produktion an Tochter Barbara und Stiefsohn Michael abgeben. Auch John Barry, Maurice Binder und Richard Maibaum, der seit den 1960ern an den Drehbüchern schrieb, fielen aus, und damit ihr prägender Einfluss auf die Reihe. Zudem sind die Zeiten von scheinbar unbegrenzten Budgets und ausufernden Materialschlachten vorbei. Bei GOLDENEYE machen sich erstmals Sparmaßnahmen bemerkbar, denen zahlreiche Ideen und Actionszenen zum Opfer fielen. Dazu kommen bei den folgenden Filmen chronischer Druck durch den Verleiher MGM, der Deadlines setzt und fragwürdige Entscheidungen bei Besetzung und Titelsong-Interpreten durchdrückt. Franchise-Traditionen, wie in den Score eingearbeitete Songs, werden eher zur Ausnahme. Und immer mehr Drehorte werden gefaket und nur noch von Second Units bereist.
Auf den zweiten Blick gibt es in GOLDENEYE für einen Bondfilm ungewöhnlich viele Innen- und Studioaufnahmen. Teilweise wurde sogar die Innenstadt von St. Petersburg auf der Landebahn der alten Rolls-Royce-Fabrik nachgebaut, die man aufgrund der ausgebuchten Pinewood-Studios beziehen musste. Diese Beschränkungen haben zur Folge, dass der gesamte Film einen seltsam künstlichen Look hat. Und der wird durch die sehr artifiziell und sperrig klingende Musik noch enorm verstärkt.
Man muss aber auch sagen, dass Regisseur Martin Campbell unter diesem Druck, der auf dem gesamten Franchise lastete, und unter den eingeschränkten Bedingungen sehr viel herausgeholt hat. GOLDENEYE wirkt sehr dynamisch und visuell sehr reizvoll. Der Film hat einen funktionierenden Story-Bogen, ikonische Szenen wie den Bungeesprung, und er etabliert zahlreiche Elemente, die jahrzehntelang erfolgreicher Teil der Bondwelt wurden, wie die neue M, das neue MI-6-Gebäude, der Einfluss der digitalen Welt auf die Spionage oder die wunderschönen, dreidimensionalen Titelanimationen.
Insgesamt ein solider Bondfilm, der in der veränderten Action-Filmwelt der 1990er Jahre nicht nur auf der Höhe der Zeit war, sondern auch Bond wieder als feste und erfolgreiche Größe etablierte. Und nicht zuletzt auch eine neue Generation von Fans für James Bond begeisterte.
Gefühlt: 9/15
Errechnet: 10,91/15
Also 75 % und eine 2: Die Leistungen entsprechen den Anforderungen voll.
James Bond will return in
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