Dienstag, 20. Juni 2023

Sommer, Sonne, 007

Sommer 1993... Ace of Base, Whitney Houston und das noch relativ neuartige Phänomen des Eurodance beherrschen die Musikszene, während mit JURASSIC PARK der Blockbuster des Sommers anläuft. Für mich bedeutete der Sommer 1993 vor allem aber das Entdecken einer neuen Leidenschaft: Der Welt von Geheimagent 007, der mich bisher zwar wie ein zuverlässiger, aber eher flüchtiger Bekannter begleitet hatte, nun jedoch zu einem treuen und wertvollen Freund wurde. Seitdem verband ich die Zeit des beginnenden Sommers mit dieser Entdeckung einer ganzen Film- und Romanwelt. Paradoxerweise war der Filmbond wohl gerade an seinem totesten Punkt angekommen, als er für mich am lebendigsten wurde. (Mehr dazu auch hier)

Aber auch unabhängig von dieser eher zufälligen Zeit des Fan-Werdens waren Bondfilme früher die Art Film, die man sich gern im Sommer im Kino angesehen hat, um sich für zwei Stunden abzukühlen und etwas unbeschwerten Spaß zu haben. Mittlerweile hat sich das fast ins Gegenteil verkehrt - Auch eine Frage der Starttermine der einzelnen Filme?


Die verlorene Schlacht um den Sommer

Obwohl die Starttermine der einzelnen Filme über das ganze Jahr verteilt schwankten, waren die Filme bis 1989 - vielleicht mit Ausnahme von Liebesgrüße aus Moskau oder Im Geheimdienst Ihrer Majestät - im Herzen immer typische Sommer-Blockbuster. 

Die ersten drei Filme wurden allerdings eher im Früh-Herbst herausgebracht, Anfang Oktober bzw. bei Goldfinger Ende September, was für Deutschland den Nachteil hatte, dass sie im eher undankbaren Jahresbeginn anliefen. Feuerball benötigte mehr Drehzeit und startete erst im Dezember - eigentlich ungewöhnlich für einen Film mit soviel Summer-Beach-Vibes - das dann aber schon fast weltweit gleichzeitig.

Man lebt nur zweimal gelang dann mit einem zusätzlich Jahr Produktionszeit der Sprung in den Swinging-Sixties-Sommer 1967. Damit konnte der Film auch international bei jüngeren Zuschauern attraktiver werden, bei denen der Kinobesuch in den Sommerferien beliebt ist, was er auch durch seine eher märchenhafte, vom Kinderbuch-Autor Roald Dahl erdachte Handlung forcierte. 

Bei Im Geheimdienst Ihrer Majestät machte der Start um Weihnachten herum dann erst- und letztmals wirklich Sinn, wirkte sich aber auch nicht unbedingt positiv auf das Einspielergebnis aus. Der Nachfolger Diamantenfieber behielt den Dezember bei, während Roger Moores Debüt Leben und sterben lassen dann wieder offensiv den Sommer ins Visier nahm, und das mit großem Erfolg. Der Film zählt inflationsbereinigt bis heute zu den fünf erfolgreichsten Bondfilmen überhaupt. Scheinbar harmonierte Roger Moores ironische Leichtigkeit besonders gut mit dieser Jahreszeit. (Allerdings dauerte es hier ein geschlagenes halbes Jahr, bis der Film dann im tiefsten Dezember in die deutschen Kinos kam. Heutzutage unvorstellbar.)

Rogers Zweitling Der Mann mit dem goldenen Colt wählte dann mit einer etwas kürzeren Produktionszeit die Weihnachtszeit 1974, sogar mit einer Plakatkampagne, die den goldenen Colt ironisch als Weihnachtsgeschenk anpries, wiederum aber mit eher bescheidenen Ergebnissen. Mit dem bombastischen Der Spion, der mich liebte eroberte man drei Jahre später dann aber mit fliegenden Fahnen und tauchenden Autos den Sommer zurück. Nur der noch erfolgreichere STAR WARS verhinderte hier die goldene Leinwand. Ohne diese Konkurrenz schaffte es der Nachfolger Moonraker dann sogar, den Sommer 1979 zu dominieren und zum erfolgreichsten Film des Jahres zu avancieren. Dass man für diese beiden Filme wieder Lewis Gilbert verpflichtete, der den einzigen Sommerfilm der 60er inszeniert hatte, ergibt vor diesem Hintergrund sehr viel Sinn.

Ab sofort gehörten die Sommerferien 007. Im gesamten Jahrzehnt der 1980er starteten alle Eon-Bondfilme im Juni und Juli, und etablierten das als Tradition. Doch der Zenit war mit Moonraker schon überschritten worden, und die Filme schafften es  - dank der Übernahme durch MGM und den vom Studio eingefrorenen Budgets - immer weniger, gegen die in den 80ern aufblühenden Blockbuster zu bestehen. 1989 zog mit Lizenz zum Töten erstmals ein Bondfilm deutlich den Kürzeren gegen eine geballte Phalanx von Super-Blockbustern, darunter Steven Spielbergs INDIANA JONES AND THE LAST CRUSADE und der mit einer nie dagewesene Kampagne beworbene BATMAN. Vielleicht hätte ein Start in den eher besinnlichen Wintertagen dem zweiten Dalton-Streifen mehr Glück gebracht.

Das bedeutet, dass von den 16 Filmen der klassischen Phase drei im Herbst starteten, vier im Winter und neun - also die Mehrzahl - im Sommer.

"Was Sie betrifft, wird es für immer Winter sein."

Nach dem alarmierenden Abwärtstrend, der mit Lizenz zum Töten einen Tiefpunkt gefunden hatte, zog sich EON fortan in den vor allem in den Vereinigten Staaten deutlich weniger umkämpften Winter zurück, und dominierten - mit Ausnahme des TITANIC-Winters 1997 - regelmäßig den November und Dezember. 

Obwohl die Filme bis Stirb an einem anderen Tag 2002 den Geist der klassischen Phase einzufangen versuchten, konnten sie doch nie wirklich wieder daran anknüpfen. Die Filme waren letztlich Zwitter, die zwischen der Tradition der überlebensgroßen Spaß-Elemente und den mit Dalton etablierten Drama- und Thriller-Anteilen zu vermitteln versuchten. Bezeichnenderweise haben alle vier Brosnanfilme winterliche Sequenzen, GoldenEye sogar mit einer an weihnachtliche Klänge erinnernden Musik in der Vortitelsequenz, Die Welt ist nicht genug neben einer Skijagd mit einem nach Weihnachten benannten Charakter, und Stirb an einem anderen Tag mit ausgedehnten, sich auch in der Werbekampagne spiegelnden Eis-Elementen. So als ob man über die Schauplätze die winterliche Stimmung mit der sommerlichen zu verbinden versuchte.

Über die Jahre hinweg wurden die Filme aber auch vom Spirit her immer mehr klassische Winterfilme, mit einem grüblerischen Bond, depressiven Titelsongs und immer stärker betonten familiären Verwicklungen. Natürlich muss der Starttermin eines Films nicht gezwungenermaßen mit seiner Stimmung korrelieren - siehe Feuerball im Dezember, oder auch dem sehr weihnachtlichen BATMAN RETURNS im Juni 1992 - aber es scheint fast so, als könne man langfristig dieser Stimmung nicht entkommen. 

Die mahnenden Worte von Hugo Drax in Moonraker, dass es für Bond für immer Winter sei werde, hatten also durchaus etwas prophetisches. Winter steht immer auch für Stagnation und Sterben, insofern hat diese Entwicklung mit dem letzten Streifen einen traurigen Tiefpunkt erreicht. Ironischerweise hätte es durch die ungewöhnlichen Umstände der 2020er der erste Eon-Bondfilm seit langem werden können, der nicht im Herbst oder Winter startet, und sogar der erste im Frühjahr. Ein größerer Kontrast zwischen Startdatum und Film-Atmosphäre wäre kaum vorstellbar gewesen. 

Wenn man bedenkt, dass die klassische Zeit für den literarischen Bond der Frühling war, da der erste Roman Casino Royale am 13. April veröffentlicht wurde, und Ian Fleming auch folgende Bondromane um diese Zeit herum herausbrachte, und der Filmbond sich dann von einem Sommer- zu einem Winterfranchise wandelte, ist hier auch jahreszeitlich ein Zyklus geschlossen.

Wünschenswert wäre daher mit einem Neustart des Franchises nicht nur eine Rückbesinnung auf die Werte der klassischen Filme, sondern auch auf den Sommer, sowohl was Starttermin als auch Stimmung betrifft. Aber das ist dank des immer noch marktbeherrschenden Monopols von Disney mit seinen beiden Fließband-Franchises Star Wars und Marvel leider wohl eher unwahrscheinlich. (Immerhin fallen die für viele Zuschauer immer wichtiger werdenden Heimkino-Releases durch die Wartezeit in die etwas freudigere Jahreszeit.)


Das eingangs erwähnte, alljährliche Wiedererwachen der Freude am Franchise in der Zeit, in der man die Wintersachen wegräumt und Fahrrad und Shorts wieder hervorholt, ist über die Zeit der vergangenen 30 Jahre leider immer mehr verblasst. Ich denke, die zunehmend entschwundene sommerliche Leichtigkeit der Filme ist ein nicht zu unterschätzender Faktor dafür. Die Musik, die immer ein Transporteur dieses besonderen Gefühls war, spiegelt das sehr gut wieder. Die schwelgerischen Balladen, die die Liebe und die traumartige Qualität des Lebens hervorhoben - wie Nancy Sinatras You Only Live Twice, Shirley Basseys Moonraker oder Rita Coolidge's All Time High - sind seit 1989 verschwunden. Obwohl sie nie die ungeteilte Begeisterung der Fans erhielten, spiegeln doch gerade diese Lieder die schwelgerische Schönheit und das Genuss-Betonte der Filme wieder. Seit fast 30 Jahren erzählen die Lyrics der Titelsongs mit teilweise klinischer Depressivität nur noch von einem fast darwinistischen, ewigen Kampf in einer nihilistischen Welt. Das mag realitätsnäher oder dramaturgisch gehaltvoller sein, zum Fan-Werden lädt es nicht mehr ein.

3 Kommentare:

  1. Ganz gut geschriebener Beitrag. Nur zwei kleine Anmerkungen: "Keine Zeit zum Sterben" wäre nicht der erste Bondfilm mit einem Start im Frühling gewesen, da bereits "Im Angesicht des Todes" Ende Mai Premiere hatte. Und zu Disney und Marvel: War nicht gerade Bond eine der ersten durch-kommerzionalisierten "Fließband-Franchises"? Insofern verstehe ich die Kritik hier nicht.

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    1. Hallo Holger, klar, die Weltpremiere von AVTAK in San Francisco war Ende April, aber ich bezog mich eher auf den internationalen Start. Bei der Premiere hatte ich immer das Gefühl, dass es ein kleines Vorab-Screening als Dankeschön für die Stadt war. Ähnlich wie die Vorführung von TLD in Eastbourne.

      Wenn man eine Veröffentlichung von Filmen aller zwei Jahre als Fließband betrachten will, klar. Das Bondfranchise hatte bis 1989 in 27 Jahren 16 Filme herausgebracht. Marvel hat dagegen fast die doppelte Menge an Filmen in etwas mehr als zehn Jahren produziert! Das sind schon ganz andere Dimsensionen. Bei den klassischen Bondfilmen ist es außerdem so, dass sie nicht wirklich andere Filme vom Markt verdrängt haben. Vielleicht hatten einige zur selben Zeit gestarteten Filme ein paar weniger Zuschauer in dem Monat, in dem mal wieder ein neuer Bond anlief. Und das aber auch bloß zu den besten Zeiten. Marvel dominiert aber mittlerweile regelmäßig das komplette Jahr, nicht nur die Tentpoles in vielleicht jedem zweiten Sommer. Disney hat die Fortsetzungen von Avatar zugunsten von Marvelfilmen verschoben, und das ist nicht irgendein B-Franchise, sondern zwei der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, und technisch wegweisender als alles von Marvel zusammen. Das ist schon eine richtige Raubtier-Mentalität, die anderen Filmen und Franchises aktiv schadet! Vor allem auch im Hinblick auf das Aufkaufen anderer Franchise, um Konkurrenz zu beseitigen. Galt früher an der Kinokasse ein 'leben und leben lassen', ist es dank Disney mittlerweile ein sehr aggressives 'leben und sterben lassen'.

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    2. Korrektur: meinte natürlich Ende Mai, nicht April.

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