Sonntag, 2. April 2023

Die aus der Zeit Gefallenen

Artwork by Paul Mann & Richard Amsel

Die 1970er waren eine seltsame Zeit für hartgesottene Nachkriegshelden. Egal ob zynische Privatermittler wie Philip Marlowe oder kalte Krieger wie James Bond. Zwei recht ähnliche Helden, geschaffen von ehemaligen Journalisten und Weltkriegsveteranen. Der eine erblickte 1939 das Licht der literarischen Welt und wurde zu dem hardboiled detective schlechthin, der andere debütierte 1953 und wurde der berühmteste aller Geheimagenten. Die beginnenden Siebziger mit ihren politischen Umbrüchen und über den Haufen geworfenen Idealen ließen beide wie anachronistisch wirkende Klischees aussehen.  

Und so kamen vor einem halben Jahrhundert zwei Filme in die Kinos, die beide Helden mit einem ähnlichen Ansatz in dieses turbulente Jahrzehnt transportierten. Robert Altmans THE LONG GOODBYE (Der Tod kennt keine Wiederkehr) und LIVE AND LET DIE (Leben und sterben lassen). Beide beruhten auf Romanen aus den frühen 1950er Jahren, die sie mit einem kontrastierenden Hauptdarsteller und dem ironischen Spiel mit den eigenen Klischees in das Jahr 1973 übersetzten. Zum Teil ähneln sich sogar die Handlungen in gewissen Details.


Robert Altman gab sich gar keine Mühe dabei, den Charakter Marlowes selbst zu modernisieren, sondern inszenierte ihn bewusst als wandelnden Anachronismus. In Anlehnung an die berühmte Kurzgeschichte Rip Van Winkle, in der ein Bauer in einen zwanzigjährigen Schlummer fällt und die amerikanische Unabhängigkeit verschläft - welche selbst wiederum von der deutschen Sage Der Ziegenhirt inspiriert ist -, nannte er seinen Ansatz augenzwinkernd "Rip van Marlowe". Elliott Goulds Marlowe läuft in einem altmodischen schwarzen Anzug durch die Gegend und fährt einen 1949er Lincoln. In ähnlicher Weise wirkt Roger Moores Bond mit seiner konservativen Frisur und seiner Kleidung in Leben und sterben lassen wie jemand aus einer anderen Zeit, was durch den Culture Clash eines Engländers in Harlem noch verstärkt wird.

Der Rip-Van-Winkle-Ansatz findet sogar eine bildliche und metaphorische Entsprechung in der Anfangsszene, in der man Marlowe in seiner Wohnung unsanft aus dem Schlaf geweckt sieht. Seine hungrige Katze weckt ihn auf, und er macht ihr daraufhin Futter zurecht in seiner Küche. Jedoch - Katzenbesitzer werden den Realismus des Dargestellten bestätigen - mag die Katze das Futter nicht, und Marlowe muss sich auf den Weg machen, um etwas besseres zu kaufen.

Die Einführung von Roger Moore als James Bond ähnelt dem so sehr, dass sie fast wie eine kleine Hommage wirkt. Auch Moores Bond wird in seiner Wohnung unsanft zu sehr früher Stunde aus dem Schlaf gerissen und sieht als erstes ungläubig auf seine Armbanduhr. Hier ist es aber nicht die Katze, der er Futter bereitet, sondern sein Chef, dem er dann in der Küche Kaffee kocht. 

Auch die Darstellung der Hauptfigur ist ähnlich. Elliott Goulds Detektiv ist nicht mehr so 'hartgekocht' wie Humphrey Bogart. In einer Szene wird er etwa von einem großen Hund bedroht, den erst sein Frauchen zurückpfeifen muss. Während eines Verhörs bemalt er sein Gesicht mit der Tinte an der Hand, die vom Abnehmen der Fingerabdrücke stammt, und parodiert Al Johnson im ersten Tonfilm THE JAZZ SINGER

Das entspricht auch dem Verhältnis, das Roger Moore zum härter agierenden Sean Connery hatte. Bogart hätte sich ebenso wenig Farbe ins Gesicht gemalt wie Connery Clownsschminke. Sowohl bei Gould als auch bei Moore entstammt die Coolness ihres Charakters nicht mehr größtenteils einer direkten, physischen Männlichkeit, sondern eher dem metaphysischen Wissen um die Filmhandlung als großes Spiel. Sie reagieren gelassen auf psychopathische Gangsterbosse und deren Handlanger, weil ihnen die Regeln des großen Spiels ebenso transparent sind wie dem Zuschauer. Roger Moore perfektionierte diese Art des Spiels in MOONRAKER

Und so geht auch der Film an sich offensiv und spielerisch mit den Klischees um, die um die Figur und deren zahlreiche Nachahmer entstanden sind. In Der Tod kennt keine Wiederkehr etwa, wenn ein Pförtner und Laienkomiker Barbara Stanwyck und andere Film-noir-Darsteller parodiert. In Leben und sterben lassen wird der obligatorische Showdown im Schurkenversteck samt Haifischbecken und Einschinenbahn fast schon beiläufig und mit sehr viel Ironie abgehandelt.

Interessante Analogien zeige beiden Filmen auch beim Thema Musik. Es gibt jeweils Szenen, in denen der Hauptdarsteller Trauerzüge mit Kapellen vorbeiziehen sieht, die ungewöhnlich fröhlich aufspielen. Eine Metapher dafür, dass die klassische Ära des Helden mit ihren ernstgemeinten Genre-Konventionen endgültig vorbei ist. John Williams baute zudem eine Vielzahl von Variationen seines Titelsongs The long Goodbye ein, was man als Parallele zur Hauptfigur und deren verschiedene, gleichberechtigte Interpretationsmöglichkeiten sehen kann. Auch Leben und sterben lassen präsentiert innerhalb der Filmhandlung eine Variation des Titelsongs, mit der Bond direkt angesprochen wird, während er versenkt wird. Goulds Philip Marlowe muss sich in ähnlicher Weise eine Variation des Titelsongs in einer Bar anhören, während er einen Drink genießen will.


Schließlich ähnelten sich auch die Kritikerreaktionen auf diesen ironischen und eher frech modernisierten Entwurf eines klassischen Helden, die sich vor allem in Ablehnung zeigte. Robert Altman sagte dazu: "Jeder sagte, Elliott sei nicht Marlowe und es wäre nicht werkgetreu, aber was sie wirklich meinten war, dass Elliott Gould nicht Humphrey Bogart war."  Auf diesen Satz lässt sich im Prinzip auch fast alle Kritik an Moore zusammenfassen. Der Hauptvorwurf war, dass er nicht Sean Connery ist.

Alle Gemeinsamkeiten der Filme enden allerdings bei den Einspielergebnissen. Während das Debüt von Roger Moore als James Bond ein überdurchschnittlicher Kassenerfolg war, der inflationsbereinigt selbst die meisten neueren Bondfilme hinter sich lässt, floppte Der Tod kennt keine Wiederkehr auch beim Publikum gnadenlos. Ironischerweise brachte man ihn zuerst mit einem Poster heraus, dass Altman als zu bond-like empfand. Das Plakat von Richard Amsel - der einige der bekanntesten Motive der Filmgeschichte schuf, wie THE STING (Zwei Banditen) oder RAIDERS OF THE LOST ARK (Jäger des verlorenen Schatzes) - zeigt Elliott Gould in lässiger Pose, zwar ironisiert durch eine Katze auf der Schulter und Katzenfutter im Arm, aber auch mit Zigarette im Mundwinkel und Colt im Hosenbund. 

Nachdem der Film katastrophale Kritiken und Einspielergebnisse erzielte, änderte man am Film selbst nichts, nur die Werbekampagne. Jack Davies, Zeichner und Karikaturist beim MAD-Magazin, wurde beauftragt, ein eher cartoon-haftes Plakat im Stile von Parodien und Komödien wie BANANAS oder INSPECTOR CLOSEAU zu kreieren, welches aber ein halbes Jahr später auch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Für den europäischen Markt wählte man wiederum ein wieder ernsthafteres und thriller-artiges Motiv, mit der griffigen Tagline "Nothing says goodbye like a bullett." (Mehr zu der sehr interessanten Hintergundgeschichte der Plakate hier.)


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