Roman-Adaptionen von Filmen waren bis in die 80er Jahre eine sehr erfolgreiche Vermarktungsmöglichkeit, da sie vor Entwicklung der Heim-Video-Systeme eine willkommene Möglichkeit boten, zwischen Kino- und Fernsehaufführung noch einmal in die Welt des Films einzutauchen. Ihre Tradition reicht bis weit in die Stummfilm-Ära zurück. Oft arbeiteten Autoren zeitgleich an Drehbuch und Roman, wie Edgar Wallace für KING KONG (1932) oder Alister MacLean für WHERE EAGLES DARE (Agenten sterben einsam, 1968), und Franchise-Schöpfer wie Gene Roddenberry oder George Lucas nahmen dafür die Feder sogar persönlich in die Hand.
Christopher Wood begnügte sich allerdings nicht mit der meistens üblichen sprachlichen Ausschmückung der Filmhandlung, sondern er brachte eine eigene Tonalität ein, setzte einige seiner äußerst phantasievollen Ideen um, die es nicht in den Film geschafft hatten - manche davon recycelte man für spätere Filme - und wandte einen Kniff an, der einen Trend in Gang setzte.
Wood beschrieb nicht einfach die von Roger Moore dargestellte Filmfigur, sondern er verwendete den von Ian Fleming etablierten literarischen Bond. Damit setzte er eine Tradition fort, die seit dem Roman Colonel Sun von Kingsley Amis fast ein Jahrzehnt lang brach gelegen hatte. EON Productions bestimmte zwar Wood als Autor, um die Veröffentlichung kümmerten sich dann aber Ian Fleming Publications, die damals noch Glidrose hießen. Damit ist Christopher Wood eigentlich zwischen Amis und John Gardner einer der Nachfolge-Autoren von Ian Fleming, allerdings wird er praktisch nie offiziell als solcher genannt.
Woods Roman, der in Abgrenzung zu Fleming den Titel James Bond, The Spy Who Loved Me trug (im Deutschen: James Bond und sein größter Fall), wurde zu einem beachtlichen Erfolg. Auf der Bestseller-Liste der London Times schaffte er es auf Anhieb auf Platz 6. Obwohl die Kritiken eher durchwachsen bis negativ waren - wie fast traditionell bei Film-Romanen - lobte Kingsley Amis das Buch und schrieb, dass Wood die Aufgabe, einen eher ironisch-übertriebenen Bondfilm in die eher ernsthafte Welt des Roman-Bonds zu übertragen, mit Bravour gemeistert habe.
Es wurde nie offiziell zugegeben, dass Woods Romane durch ihren Erfolg praktisch dazu einluden, Ian Flemings James Bond literarisch weiterzuführen, aber es ist sicherlich auch kein Zufall, dass unmittelbar nach Woods Moonraker im Oktober 1980 John Gardner als offizieller Fleming-Nachfolger bekannt gegeben wurde.
Christopher Woods Bondromane entwickeln einen sehr speziellen Reiz daraus, zwei der abgehobensten und ironischsten Abenteuer in die Pulp-Thriller-Welt der Fleming-Romane zu übertragen. Wie hier bereits erörtert, arbeitete er die Motivation der Bondschurken wesentlich detailierter heraus; er beschrieb Hintergründe und Biographien ausführlicher - wie etwa die des 'Beißers' - und stattete Bond mit wesentlich geerdeteren Nöten und Ängsten aus. Er reaktivierte zum Beispiel den sowjetischen Killer-Geheimdienst SMERSH aus den frühen Romanen und machte ihn für das eröffnende Attentat auf Bond verantwortlich.
Wie schon erwähnt, wurden viele seiner Ideen erst in späteren Bondfilmen verwirklicht, einige offiziell - wie die Action mit dem Minijet in OCTOPUSSY. Andere Ideen wirken ihrer Zeit auch weiter voraus, beispielsweise schildert er Bond und seine Begleiterin beim Heliskiing - was im Film erst 1999 in THE WORLD IS NOT ENOUGH (Die Welt ist nicht genug) aufgegriffen wurde.* Aber auch Bonds Zwiespalt gegenüber Anya ist im Buch noch stärker ausgebaut und erinnert an den zentralen Konflikt im 1999er Bondfilm:
Mit einem Anflug von Traurigkeit erinnerte sich Bond daran, daß sie einer anderen Frau glich, die er einmal geliebt hatte und mit der er verheiratet gewesen war. Tracy war zwar blond gewesen und diese Frau war schwarz, aber auf beiden Gesichtern zeigten sich der gleiche Mut, die gleiche Wachsamkeit, der gleiche Intellekt, den Bond bei einer Frau über alles schätzte.
Eine warnende Stimme schien in Bonds Ohr zu brüllen: 'Vorsicht! Diese Frau ist Russin.' Und aller Wahrscheinlichkeit nach, ja fast mit Sicherheit, gehört sie zu Smersh und ist damit dein tödlicher Feind.
Oft übertreibt es Wood aber auch ein wenig mit den Pulp-Elementen und schildert unnötige Brutalitäten - ein Fehler, den viele Fleming-Epigonen begingen. Beispielsweise lässt er Stromberg darüber fantasieren, dass Beißer mit Anya gewaltsam ein Kind zeugen sollte.
Auswahl von Film-Romanen. Oft wurden bestehende Romane auch im Filmlook herausgegeben, wie hier im Fall von FIGHT CLUB und JACKIE BROWN, der als Roman eigentlich 'Rum Punch' hieß |
Nach Woods Romanen verfolgte man dieses Konzept erst einmal nicht weiter, vielleicht weil mit John Gardner ein Autor offiziell eigene und in der Gegenwart angesiedelte Bondromane verfasste. Stattdessen erschienen zu FOR YOUR EYES ONLY und OCTOPUSSY bei Marvel Comics zum Film.
Genau zehn Jahre nach Woods Moonraker wurde John Gardner aber dann doch beauftragt, eine Adaption des Drehbuches zu LICENCE TO KILL (Lizenz zum Töten) zu schreiben. Vermutlich weil es kein Romantitel von Ian Fleming war und damit rechtlich unbedenklicher. Wie Wood schmückte Gardner manche Details aus und bietet dadurch eine interessante Perspektive.
Der Auftrag brachte Gardner jedoch in ein kleines Dilemma: Die im Film geschilderte Verstümmelung von Bonds Agentenfreund Felix Leiter durch einen Hai, die der Schurke veranlasst, ist ein Element aus Flemings zweiten Roman Leben und sterben lassen. In Gardners Bonduniversum, das Fleming einschloss, passierte das damit dem armen Leiter, der deshalb schon eine Hand- und Beinprothese trug, schon zum zweiten Mal. Bond kommentiert das im Roman so, dass der sprichwörtliche Blitz manchmal eben doch zweimal an derselben Stelle einschlage. Aber Gardner macht das Beste daraus und schildert, dass der Hai lediglich die bereits vorhandenen Prothesen herausgerissen habe und Leiter dadurch überlebte. Und schließlich motiviert Bond dieses furchtbare Déjà vu zusätzlich auf seinem Rachefeldzug.
Nach der sechsjährigen Pause nach Lizenz zum Töten, in der Gardner fünf Bondromane verfasst hatte, schrieb er seine zweite Drehbuch-Adaption für GoldenEye. Auch hier versucht er, die zahlreichen Logikbrüche des Drehbuches auszugleichen. Und er nimmt, ähnlich wie Wood, spätere Filmideen voraus. Beispielsweise lässt er Bond den sibirischen Staudamm per HALO-Sprung erreichen, was die Autoren in Tomorrow Never Dies einbauten.
Darauf folgte ein letzter eigenständiger Bondroman, Cold von 1996, dann musste Gardner sich jedoch aufgrund einer Krebserkrankung von dieser Aufgabe zurückziehen. Er wurde ohne größere Verzögerungen durch den US-Amerikaner Raymond Benson ersetzt, der Gardners Romane größtenteils ignorierte, so dass gleich Bensons zweiter Bondroman die Adaption von Tomorrow Never Dies wurde.
Wie Gardner nutzt auch Benson die Möglichkeit, kleinere und größere Ungereimtheiten der Handlung zu erklären und die Gegenspieler mit mehr Hintergrund auszustatten. Dabei schlägt er für meinen Geschmack, ähnlich wie Gardner, manchmal etwas über die Strenge. Bei manchen Details zu Stamper geht es mir wie Bond: So genau wollte ich es gar nicht wissen.
Es folgten The World Is Not Enough und Die Another Day von Benson, welcher dann auch sein letzter Bondroman wurde. Die Ära Pierce Brosnans ist somit die einzige, die vollständig von Romanen zum Film begleitet wurde. Nach Raymond Bensons Buch-Zyklus wurde das Konzept, Bondromane in der Gegenwart anzusiedeln und mit dem Filmbond zu vermischen, vorerst ad acta gelegt. 2002 und Die Another Day waren also auch in der literarischen Bondwelt eine Zäsur. 2008 schrieb Sebastian Faulks einen Roman, der in der Vergangenheit spielt und direkt an Flemings Kanon anschließt. Das war sicher ein Grund, warum es für die Craig-Filme dann keine entsprechenden Romane mehr gab. Ein anderer, offensichtlicherer, war wohl der Umstand, dass man für Craigs Erstling Casino Royale erstmals wieder direkt auf ein originales Fleming-Buch zugriff, und die Notwendigkeit eines extra geschriebenen Romans zum Film nicht bestand.
Ironischerweise waren die Adaptionen nach einem Vierteljahrhundert, nach sieben Büchern von drei verschiedenen Autoren für drei verschiedene Darsteller, wieder da angekommen, wo sie angefangen hatten: Der literarisch bemühten Ausschmückung von völlig abgehobenen Abenteuern. Leider fehlt Benson bei Stirb an einem anderen Tag die Ambition eines Christopher Wood, das Geschehen konsequent thriller-artig ernsthaft zu interpretieren und von der Filmhandlung auch mal abzuweichen. (Wobei das auch rechtliche Gründe haben kann.) Es ist größtenteils wirklich nur eine recht lustlos wirkende Beschreibung der Handlung mit exakt denselben Dialogen wie im Film. Die Chance, etwa die berüchtigte Tsunami-Surfszene durch eine Schilderung von Bonds Verzweiflung und Einfallsreichtum in der Not aufzuwerten, nutzt Benson kaum. Stattdessen beschreibt er das, was man auch auf der Leinwand sieht: "Oben auf dem Wellenkamm glitt, getragen von dem zerfetzten Bremsfallschirm des Eisjets, eine winzige Gestalt über das schäumende Wasser."
Die Wahrscheinlichkeit für erneute Film-Romane stehen aus den oben genannten Gründen wohl nicht all zu gut. Bücher, Comics oder Spiele als begleitendes Marketing scheinen EON Productions nicht mehr sonderlich zu interessieren. Das ist schon schade, denn auch wenn es für Autoren wohl eher dröge Auftragsarbeit ist und es auch bei Kritikern dafür so gut wie nichts zu holen gibt, stellen diese Adaptionen doch nach wie vor sehr oft einen interessanten Einblick in frühere Drehbuchversionen inklusive entfernter Szenen dar. Bevor DVDs auf den Markt kamen, war es sogar die einzige Möglichkeit, sich über frühe Drehbuchideen und deleted scenes zu informieren. In George Gipes Romanversion von Zurück in die Zukunft findet sich beispielsweise der komplette frühere Anfang des Drehbuches, als man als finale Energiequelle für die Reise zurück in der Zeit noch auf eine Atomexplosion setzte.
Und auch in den Bond-Filmromanen erfährt man, wie bestimmte entfernte Szenen sich ursprünglich einmal in die Gesamthandlung eingefügt haben. In Moonraker beispielsweise die Liebeskammer auf Draxens Raumstation, in GoldenEye Bonds Vordringen zum Staudamm zu Beginn, in Der Morgen stirbt nie die Szene mit dem echten Jaguar oder in Stirb an einem anderen Tag Bond und Miranda im Dampfbad. Da das Bonusmaterial auf den Blurays zu den letzten Bondfilmen eher spärlich und lieblos war, wären Romane da immer noch eine interessante zusätzliche Quelle. Man denke da etwa nur an das alternative Ende von Quantum of Solace.
Jüngst hat Quentin Tarantino mit einem Roman zu seinem eigenen Film Es war einmal in Hollywood ja gezeigt, dass man selbst mit diesem eigentlich ungeliebten Subgenre auch Kritiker interessieren und im Feuilleton wohlwollend besprochen werden kann. Wenn das keine Motivation für EON ist...
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* Darf hingewiesen hat der User Photographer im James-Bond-Forum
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