Mittwoch, 28. September 2022

Neues aus der Büchse der Pandora

Die James-Bond-Filme feiern in diesem Jahr ihr sechzigjähriges Jubiläum. Gefeiert werden aber vorrangig die beiden Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson. Hollywood scheint sie mit Preisen dafür zu überschütten, dass sie aus der Demontage des einstigen Superagenten reichlich Kapital geschlagen haben. Wenn es um Bond geht, dann vor allem um die Craig-Ära. So sind im Trailer zur Dokumentation The Sound of 007 nur Ausschnitte aus Craigfilmen zu sehen, wie die Webseite Spy Command feststellt. 

Auch dazu, wie es mit dem Franchise weitergehen soll, haben sie sich geäußert, und es lässt wieder einmal nichts wirklich Gutes erahnen.  


Das Kinomagazin Variety befragte Barbara Broccoli und Michael G. Wilson zu verschiedenen Themen. Zur Sprache kam auch die Bond-Spielshow 007's Road to a Million, die sie für Amazon produzieren. Auf die Frage, ob sie auch eine narrative TV-Serie zum Thema Bond bewilligen würde, antwortet Wilson: "Wir versuchen, es weiterhin ausschließlich für das Kino zu erhalten." ("We're trying to keep it theatrical.") Broccoli verbessert ihn unmittelbar: "Nun, wir werden es als Kino-Franchise erhalten! Wir versuchen es nicht, wir müssen das tun." So löblich wenigstens diese Maxime ist, zeigt dieser kurze Wortwechsel schon sehr gut, wer in der Casa Broccoli das Sagen hat. 

Zum Thema Suche nach einem neuen Bonddarsteller bestätigte Broccoli noch einmal, dass Bond für die nächsten Jahre erst einmal von der Bildfläche verschwinden werde. Das bedeutet, dass die meisten der zur Zeit als Favoriten gehandelten Schauspieler dann bereits zu alt sein werden. Zumal man versuche, den Darsteller für zehn bis zwölf Jahre zu halten. (Was bei ihrem Produktionstempo dann zwei bis drei Filmen entspricht.) 

Dass man größere Rollen für Frauen in zukünftigen Filmen haben will, braucht man wohl nicht extra zu erwähnen. Vielleicht haben sie ja dann sogar Nachnamen. Größere Diskussionen in Fangruppen löste eher Broccolis Anmerkung aus, dass sich Bond auch weiterhin entwicklen werde (evolving), genau so wie sich Männer allgemein weiterentwickeln. Craig habe Bond 'emotional aufgebrochen', und diese emotionale Bögen werde man wohl auch weiterhin versuchen zu entwickeln. 

Mit dem neuen Darsteller und dessen Ära möchte man zuerst einmal zum einen ein übergeordnetes, geopolitisches Feindbild finden (was dieser Tage wohl kaum schwer fallen sollte), und des weiteren eine emotionale Herausforderung für Bond, mit der er sich bisher noch nie auseinandersetzen musste.

Spätestens an dieser Stelle sollte klar werden, dass das, was Craig vor allem aufgebrochen hat, eine Büchse der Pandora ist, die nun wohl nicht mehr wieder geschlossen werden wird. Das Erfolgsrezept der Bondreihe bis inklusive DIE ANOTHER DAY (2002) bestand in einem steten Wechsel zwischen eher filmisch orientierter Überlebensgröße und eher literarisch orientiertem Drama/Agententhriller. Nach überbordenden Science-Fiction-Einlagen folgte die Rückbesinnung auf Flemings Thriller, nach etwas zu geerdeten Beiträgen die Rückkehr zu Ironie und Größe.

Die vergangenen Craig-Jahre boten dagegen nur den Wechsel zwischen langem Drama und kurzem Drama, zwischen gut und schlecht gemachtem Drama. Und da sich Broccoli offenbar als Evolutionsbeschleuniger für die Männerwelt sieht, wird der Drama-Ansatz wohl erhalten bleiben. Das Überdenken des gesamten Bond-Schemas findet nicht mehr innerhalb der Bandbreite 'geerdet/menschlich und phantastisch/überlebensgroß' statt, sondern nur noch im Bereich 'emotionale Herausforderung für Bond' statt. Damit verengt sich und verarmt das Bond-Universum.

Und mal ganz ehrlich: War die Attraktivität und der Reiz des James Bond, von dem die meisten von uns Fan geworden sind, nicht gerade die, dass es scheinbar keine "emotionale Herausforderung" für diesen Mann gab, der er sich noch nie gestellt hat? Hat nicht gerade das diese unheimlich coole Weltgewandtheit ausgemacht, und war nicht gerade das das Markenzeichen der Reihe, das Nachahmer nie erreicht haben? Albert R. Broccoli, Richard Maibaum, Terence Young und viele andere haben sich Gedanken gemacht, wie sie diese bewundernswerte und einzigartige Coolness immer wieder attraktiv auf die Leinwand zaubern können. Barbara Broccoli macht sich dagegen Gedanken darüber, wie sie das nachhaltig zerstören kann. Bond wird bei ihr immer wieder künstlich zurückgestutzt und verkleinert. So hat Craigs Bond in "Keine Zeit zu sterben" etwa weniger charakterliche Reife als der wesentlich jüngere Bond von George Lazenby.

Wer die Entwicklung der Reihe in den vergangenen 30 Jahren verfolgt hat, wundert sich wohl eh etwas über die planerische Voraussicht, die Broccoli jetzt so regelmäßig und blumig beschwört, denn genau die hat sich in ihrem bisherigen Schaffen nie gezeigt. Der durchschlagend erfolgreiche GOLDENEYE, der der Reihe nachhaltig das Überleben sicherte, beruhte auf langjährige entwickelte Drehbücher noch unter der Ägide von Albert R. Broccoli, und zu einem großen Teil wohl auch der energetischen Regie von Martin Campbell. Der Nachfolger TOMORROW NEVER DIES konnte wenig von dieser Innovationskraft weiterentwickeln. THE WORLD IS NOT ENOUGH knüpfte dann dank des Drehbuch-Debüts von Robert Wade und Neil Purvis wieder etwas daran an, während DIE ANOTHER DIE unter der Regie von Lee Tamahori dann völlig eskalierte und Amok lief. EON brauchte Jahre, um sich zu fangen, schickte Pierce Brosnan als Sündenbock in die Wüste und setzte die Idee um, die Brosnan ihnen zusammen mit Quentin Tarantino unterbreitet hatte. Auch daran konnte man wiederum mit dem Nachfolgerfilm nicht anknüpfen, setzte dann statt auf das Erfolgsrezept eines jungen, noch ungeschliffenen Agenten auf das genaue Gegenteil, einen kaputten, desillusionierten Bond. Dann wurde Blofeld wiederbelebt, nur um ihn dank völligen Fehlens von Inspiration noch toter als tot zu hinterlassen, und Bond eine unglaubwürdige Romanze mit der nächstbesten Blondine angedichtet, die ihn als Femme Fatale ohne Sex und Glamour schließlich Leben und Auto kostet. Das alles wirkt eher chaotisch, mit kurzen Episoden von Glück und talentierten Mitarbeitern.

Ob Broccolis Vorhaben, jetzt die kommenden zehn bis zwölf Jahre Bond im Stil von Marvel mit Gegenspielern und alles überspannendem Charakterbogen im Voraus zu planen, wirklich Verbesserung bringen wird? Die beste Antwort darauf gab wohl Alt-Bond Pierce Brosnan, als er nach seiner Meinung zu einem möglichen Bondnachfolger gefragt wurde: "I don't care."

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