Sonntag, 1. Mai 2022

Vorwärts in die Vergangenheit?

Aston Martin DB5 vor Big Ben
Nach dem Ende der Craig-Ära und der kreativen Sackgasse, in die sie das Franchise befördert hat, liest man immer wieder den Wunsch von Zuschauern und Fans, zukünftige Bondfilme doch in der Vergangenheit - vorzugsweise den 1960er Jahren - anzusiedeln. Zum einen sollte dadurch das Problem gelöst werden, Bonds Tod im nächsten Film dramaturgisch zu verarbeiten - in der Vergangenheit war er ja eben noch lebendig. Zum anderen sollen sich die Bondfilme dadurch wieder 'bondiger' anfühlen, mit dem Hintergrund des Kalten Krieges und seiner binären Weltsicht, und natürlich weniger komplizierten sexuellen Interaktionen zwischen Mann und Frau. 

Aber kann man den Umständen unserer Zeit, die letztendlich buchstäblich toxisch für Bond wurden, wirklich so einfach entkommen?


Eine Antwort findet man vielleicht, wenn man sich Filme und Serien der letzten Zeit ansieht, die in der entsprechenden Vergangenheit angesiedelt sind. Welche davon haben die Qualitäten, die Fans gern wieder sehen würden? Mir fallen da noch am ehesten X-MEN: FIRST CLASS von 2011 und THE MAN FROM U.N.C.L.E. von 2015 ein. Vielleicht auch noch die ersten beiden Star-Trek-Filme von J.J. Abrams, die versucht haben, den Geist des Originals aus den Sixties wieder zu beleben. Konsequent zeitgenössische Technologie oder die 'Man's World' der 60er mit ihren unkomplizierten Beziehungen findet man dort aber nicht wirklich. Am ehesten entspricht dem vielleicht Michael Fassbender in FIRST CLASS, der allerdings den Schurken spielt. Weder Henry Cavills Napoleon Solo noch Chris Pines Captain Kirk können bei ihren 'Love Interests' landen (Kirk verliert sie sogar an Spock, was in den 60ern ein Witz gewesen wäre), und sie sind auch nicht die alleinigen Helden ihrer Welt.

Und das verwundert eigentlich auch nicht, denn es ist ja gerade der entscheidende Punkt bei Geschichten, die in der Vergangenheit angesiedelt sind, dass sie den Bogen in die Gegenwart schlagen und Dinge zeigen, mit denen man sich identifizieren kann. Das ist der Grund, warum die meisten klassischen Theaterstücke mittlerweile mit Krawatten und automatischen Waffen statt Schwertern aufgeführt werden, oder warum Jack und Rose in TITANIC nicht reden wie Jugendliche des Jahres 1912. Bond in den 60ern anzusiedeln, um den Problemen unserer Zeit zu entkommen, ist ein bisschen so wie als Paar in den Urlaub zu fahren, um Beziehungsproblemen zu entgehen. Jeder gute Drehbuchautor wird versuchen, Bond für die aktuelle Gegenwart relevant zu machen, egal in welcher Zeit der Film spielen soll.

Wann genau?

In den Romanen praktiziert man seit 2005 bereits, Bond in seiner klassischen Phase der Anfangszeit des Kalten Krieges wirken zu lassen, beziehungsweise sogar in seiner Kindheit und Jugend. Dabei zeigen sich exakt diese Dilemmata. Entweder man lässt Bond Probleme der Vergangenheit lösen, die für den Zuschauer der Gegenwart aber so oder so bereits gelöst sind. Die Kuba-Krise wurde beispielsweise nun mal ohne Atomkrieg beigelegt und tangiert den heutigen Zuschauer als Bedrohung einfach nicht mehr. Oder man postuliert wie in U.N.C.L.E. eher moderne Technologien und Probleme in dieser Vergangenheit, bei denen man sich dann letztendlich aber fragt, warum man sie dann nicht gleich in der Gegenwart ansiedelt. 

Und ein weiteres Problem zeigt sich dort: Bond in der Vergangenheit wäre immer eine Art Lückenbüßer, denn er hat in seiner originalen Zeitlinie ja bereits zahlreiche Abenteuer dort erlebt. In den Romanen quetscht man die neuen Handlungen entweder zwischen bestehende Aufträge, oder man siedelt sie davor oder danach an - also gerade in den Phasen, in denen Bond eben nicht so klassisch war, wie man ihn gern wieder sehen möchte. Mal abgesehen davon, dass das die Glaubwürdigkeit enorm strapaziert - wie oft pro Monat kann selbst ein James Bond die ganze Welt retten? - ein neuer Darsteller würde damit mit Sean Connery in dessen ureigenstem Territorium konkurrieren müssen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das überzeugt? Zumal es allein in den 1960ern insgesamt sechs schwer zu überbietende Klassiker gibt. 

Eine andere Möglichkeit wären die Siebziger oder Achtziger. Bei ersteren bieten sich vor allem die Jahre zwischen 1974 (Der Mann mit dem goldenen Colt) und 1977 (Der Spion, der mich liebte) an. Eine hochspannende Zeit, in der man mit einem ernsthafteren, mehr an Fleming und den frühen Connery angelehnten Bond zudem etwas Neues zeigen könnte. Wenn Retro-Bond, dann wäre das tatsächlich mein favorisiertes Zeitfenster. Für ein einmaliges Filmexperiment wäre ich da am ehesten zu erwärmen.

Die Achtziger waren dann schon nicht mehr unbedingt eine klassische Bondphase, und auch hier ist die Zeit mit insgesamt sechs sehr unterschiedlichen Filmen recht gut ausgefüllt. Und es gab hier drei sehr verschiedene Darsteller. Wollte man da tatsächlich noch einen Vierten reinpressen? Am interessanten wäre da wohl die Zeit unmittelbar nach dem Kalten Krieg in den frühen Neunzigern, zwischen Dalton und Brosnan. Aber auch hier wäre es wohl kaum dieser klassische Retro-Bond, den sich viele wünschen.

Dieses Terrain würde ich viel lieber durch gut gemachte Computerspiele bearbeitet sehen - ein Medium, dass Eon seit Jahren brach liegen lässt. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Miniserie, die die Geschichten von Ian Fleming wirklich vorlagengetreu in den 1950ern umsetzt. Für mich die mit Abstand attraktivste Option, zumal es dem neuen Eigentümer amazon sicher auch entgegenkommen würde. Und es wäre wohl der perfekte Testlauf für einen neuen Bonddarsteller.

Höheres Risiko bei höherem Budget

Die beiden Prestige-Projekte für Retro-Agententhriller der letzten Jahre sind THE MAN FROM U.N.C.L.E. und ATOMIC BLONDE (2017), der eine Frau in der klassischen Bondrolle zeigte. Beide blieben an der Kinokasse jedoch hinter den Erwartungen zurück und lassen bis heute auf ihre geplanten Fortsetzungen warten. Klassische Spione im Kalten Krieg sind also alles andere als eine sichere Bank.

Dazu kommt noch ein Aspekt, den viele Fans übersehen: Dieselbe Geschichte erfordert ein deutlich größeres Budget, wenn sie in der Vergangenheit spielt, als wenn sie in der Gegenwart angesiedelt ist. Jede einzelne Szene, die nicht im Studio realisiert werden kann, muss bis ins kleinste Detail geplant und ausgestattet werden. Bei einzelnen Szenen hat man so etwas bisher auch schon oft realisiert, etwa wenn man 'Zweite-Welt-Staaten' wie die DDR oder Kuba nachgestellt hat. Wenn eine Verfolgungsjagd quer durch eine Stadt geht - wie etwa in TOMORROW NEVER DIES oder SKYFALL - kommt allerdings schon ein erheblicher Mehraufwand hinzu. Jeder einzelne Statist muss Kleidung aus der entsprechenden Epoche tragen, jedes Fahrzeug muss stimmen, jedes Plakat, jeder Marktstand, ja komplette Straßenzüge. Mittlerweile kommen für letzteres großflächig Computeranimationen zum Einsatz - die einer klassischen Bondatmosphäre mit ihrer Authentizität allerdings auch nicht gerade zugute kommen.

Für A-Filme im Budgetbereich von James Bond ist so ein 'Period Piece' natürlich absolut kein Problem. Zumindest war das bis 2020 in einer einigermaßen funktionierenden Weltwirtschaft der Fall. Man sollte allerdings bedenken, dass Geld, das für Recherchen, Kostüme, Oldtimer-Mieten, CGI, etc. pp. eingesetzt wird, an anderer Stelle - wie etwa Actionszenen - fehlt. Ein kompletter Straßenzug oder ein Flughafen im 60er-Jahre-Ambiente sieht schön aus, reicht aber als Attraktion für einen Bondfilm bei weitem nicht aus. Ein James Bond, der einfach durch Nassau oder Istanbul schlendert, würde allein schon ein zigfaches der entsprechenden Szene aus den 60ern kosten - und würde wohl trotzdem nicht deren Flair ausstrahlen. Als Bondfan sollte man sich fragen, ob man das realistischerweise wirklich will.


Und nicht zuletzt kommt dazu auch noch eine franchise-philosophische Grundfrage: Sollte James Bond als Figur und Held eine Relevanz für unsere Zeit haben? Ein Charakter, der in einem künstlichen Puppenstuben-Ambiente Probleme der Vergangenheit löst, wäre für ein junges Publikum von heute wohl noch uninteressanter als der müde alte Mann, den man mit den letzten Filmen präsentiert hat. 

Es wäre die ultimative Kapitulation vor den Herausforderungen unserer Zeit, und es würde die kolossalen Fehler von "Keine Zeit zu sterben" eher zementieren als verarbeiten. In unserer Gegenwart bliebe Bond tot, gescheitert an Problemen und Gegnern, an die er sich nicht mehr anpassen konnte. Ein Relikt, ein buchstäblich ausgestorbener Dinosaurier. Opas Bond, für immer eingefroren in einem Museum der "guten alten Zeit". 

Nein, die wirkliche Herausforderung liegt darin, die planlose Misswirtschaft der späten Craig-Ära kreativ zu lösen und Bond gleichzeitig als Helden wieder relevant und attraktiv zu machen. Und das nicht für die Generation Whiskey, die man schon mit einem ballernden Aston Martin zufriedenstellen kann, sondern für ein ebenso verändertes wie schwierig zu erreichendes junges Publikum. Ja, unsere Zeit ist leider kaputter und weniger glamourös als die Sechziger, aber gerade deshalb bräuchte sie echte  Identifikationsfiguren, die sich ihrer Verantwortung für zukünftige Generationen nicht entziehen.

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