Mittwoch, 27. März 2019

Auf dem Gipfel

                                         "Every Step off the way we'll find us,
                                   With the Cares of the World far behind us."
                                                                                                 (We Have All the Time in the World, Louis Armstrong)




Wodka Martini mit Sanduhr
Bond-Marathon #6: ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE (1969)

Wenn man die Bondfilme der 1960er Jahre hintereinander sieht, dann wirkt ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE wie das, was SPECTRE sein wollte: Die epic conclusion einer ganzen Ära. Obwohl in beiden Fällen nicht im Voraus geplant, funktionieren die Anspielungen auf frühere Abenteuer sowohl innerhalb der Handlung als auch in der Titel-Animation im 1969er Film wesentlich besser.

Aber kann der Fan-Liebling in der Analyse seiner Einzelteile seine Position verteidigen?




ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE kulinarisch

Der Film ist in dieser Hinsicht sehr ergiebig, und unter den Bondfilmen mit den meisten alkoholischen Getränken. Bond trinkt hier den typischen Wodka Martini, sein Schwiegervater in-spe dagegen einen Campari mit Eis.
Mit Tracy gibt es wie üblich zu verschiedenen Anlässen Dom Perignon. Später auf dem Piz Gloria bestellt sich Bond als Sir Hilary Bray einen Malt Whiskey mit Wasser. Nach der Bobjagd mit Blofeld ordert er bei einem herbei-eilenden Bernardiner einen Fünf-Sterne-Hennessey.

Beim Dinner mit Blofelds Todes-Engeln sieht man sehr verschiedene Speisen. Bond isst ein Steak Piz Gloria, während die Damen, die aus allen Teilen der Welt stammen, jeweils Speisen zu sich nehmen, die mit ihren Allergien zusammnhängen. Darunter Hühnchen, Mais, Bananen, Reis, Rindfleisch oder Kartoffeln.



Im Vorfeld: Auf welche Elemente freue ich mich? Auf welche nicht? 

Der Film ist schon seit einigen Jahren auf Platz 1 meiner Bestenliste. Es gibt daher auch eher wenig, was mir nicht gefällt. Ein großer Wermutstropfen ist zum Beispiel die Sprachauswahl, bei der man eigentlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat. Im Original wird Lazenby in den Szenen, in denen er als Hillary Bray auftritt, von dessen Darsteller George Baker synchronisiert, was für mich eine nicht nachvollziehbare Regie-Entscheidung ist. In der deutschen Synchronisation dagegen wurde Lazenby seine stimmliche Eigenständigkeit durch die vertraute Connery-Stimme G.G. Hoffmann geraubt, der auch noch aus dem Off typische Connery-Witze macht, so dass man es schwer hat, sich auf Lazenby einzulassen. Grauenhaft nachsynchronisierte Passagen an der Grenze zur Parodie tun ein übriges. Letztlich ziehe ich das Original daher vor.  

Zu nennen wären auch noch einige weniger geglückte Rückprojektionen. Meine größte Sorge bei diesem Film ist allerdings, dass er mir irgendwann mal weniger gefallen und seinen Nimbus verlieren könnte, weshalb ich ihn auch nicht so häufig sehe.


Bewertungen:

Einführungssequenz / Vortitelsequenz: 14

Während die meisten anderen Einführungssequenzen in sich geschlossen sind, werden hier viele Fragen aufgeworfen, die erst im weiteren Verlauf des Films beantwortet werden: Warum will sich diese Frau umbringen? Welches Interesse hat Bond an ihr? Wer möchte beide tot sehen? Und vor allem: Wird Bond es schaffen, diese Frau vor sich selbst und anderen zu retten?
Darüber hinaus bietet sie sehr viel: Schöne Landschaften, Autos und Frauen, Action, Drama, Mystery und Humor.
Titelmusik: 15
Titelanimation: 14

Maurice Binders ambitionierteste Arbeit. Die visuelle Umsetzung des Themas Zeit ist sehr schön und passend zum melancholischen Charakter des Films.
Symbiose aus Musik und Animation: 14


Einführungsszene von Bond: 14

Einführungsszene des Haupt-Bondgirls: 15
Wunderschön mysteriös und melancholisch. Man erfährt sehr wenig über Tracy, ist dafür umso gespannter auf ihre weitere Rolle. Neu ist überhaupt, dass die weibliche Hauptrolle bereits in der Pre-Title auftaucht und sehr früh in der Handlung auf Bond trifft.
Einführungsszene des Gegenspielers: 14

Blofeld kommt aus dem UV-Licht der Desinfektions-Schleuse.
Einführungsszene des Haupt-Henchman: 12 

Irma Bunt am Bahnhof in Lauterbrunnen. Man merkt hier schon, dass sie sehr gute Augen und Ohren hat.


Darstellung von James Bond: 12

George und ich
George Lazenby fand ich nie so schlecht, wie er oft hingestellt wird. Auch nicht mit dem Zusatz "dafür, dass er als Schauspieler eher ein Laie war". Es gibt keine einzige Szene, wo ich mir hier einen anderen Darsteller wünsche. Im Gegenteil, ich glaube, er ist sogar näher an Flemings Bond als viele andere Darstellungen - inklusive der des unmittelbaren Nachfolgerfilms. Der Buch-Bond war nie dieser eiskalte Killer oder Über-Macho.


Gibt es Szenen, in denen Bond weniger sympathisch erscheint? Nein.



Darstellung des Gegenspielers: 15

Telly Savalas ist für mich nicht nur der beste Blofeld-Darsteller, sondern sogar der Einzige, der überhaupt wirklich in der Rolle funktioniert. Bedrohlich, charmant, eitel, einfach glaubwürdig.

Henchman: 13

Die Deutsche Ilse Steppat, die auch in einigen Edgar-Wallace-Filmen mitwirkte, gibt die Blofeld-Vertraute als alles-überwachenden Drachen. Zuletzt fügt sie Bond auch mehr Schaden zu als jedere andere Helfer des Schurken.
Bondgirl: 15

Zusammen mit Eva Green das beste Bondgirl ever.
Helfer: 15

Draco ist einer der sympathischsten und letztlich auch tragischsten Verbündeten. Der Römer Gabriele Ferzetti hatte seine Rolle für die Ewigkeit ein Jahr zuvor in ONCE UPON A TIME IN THE WEST. Auch seine Vertrauten sind charismatisch.

Briefing-Szene: 15

Ist im klassischen Sinne hier zum ersten Mal so nicht vorhanden. Im Gegenteil, Bond wird von einem Auftrag abgezogen, was die Zuschauer-Erwartung völlig unterlief. Erst später in Ms Heim erhält Bond grünes Licht.
Moneypenny-Szene: 15

Auch Moneypenny darf hier endlich mehr als schmachten und erweist sich als eine clevere Verbündete und Freundin.
Q-Szene: 14

Bond wird erstmals nicht klassisch ausgerüstet. Q hat aber die Ehre, die ersten Dialogzeilen des Films zu sprechen. Umso persönlicher dann sein Auftritt bei der Hochzeit und die 'Versöhnung' mit Bond. Damit wird seit FROM RUSSIA WITH LOVE, angefangen von unpersönlicher Professionalität über einen genervten Schlagabtausch hin zum väterlichen Freund, ein sehr schöner Charakterbogen von Q darstellt.


Dramaturgische Struktur

Ist das auslösende Ereignis stark und interessant genug? 13

Das eigentliche auslösende Ereignis kommt hier vergleichsweise spät: Dracos Hinweis auf den Aufenthaltsort von Blofeld. Dafür ist der Auslöser des persönlichen Handlungsstrangs, der hier mindestens genauso wichtig ist, mit der Begegnung von Bond mit Tracy bereits sehr früh und sehr gut etabliert.
Hält der Film durchgehend eine gewisse Grundspannung aufrecht? 14

Die beiden Hauptfragen 'Kann Bond Blofeld stoppen' und 'Kann Bond Tracy retten' werden im Prinzip erst in den letzten Momenten des Films beantwortet.
Finale allgemein: 15
Gibt es eine Steigerung des Sensationswertes bis hin zum Finale, das alles andere überschattet? 14

Endkampf Bond - Henchman: 14

Da es keinen Zweikampf zwischen Bond und Bunt gibt, zählt hier am ehesten der Kampf auf dem Piz Gloria.
Endkampf Bond - Schurke: 14

Bonds Bobschlitten in der Bond World auf dem Piz Gloria
Bonds Schlitten in der Bond World
auf dem Schilthorn
Die Bobschlitten-Jagd. Die Rückpros sind aus heutiger Sicht manchmal etwas auffällig, aber da das nun mal Stand der Technik war und auch nicht zeitraffertechnisch übertrieben ist, geht es okay.
Wirkt die Auflösung nach dem Finale befriedigend? 15

Die Hochzeit mit dem tragischen Ausgang ist einmalig in der Bond-Historie. 'Befriedigend' ist hier wohl das falsche Wort, aber es ist dramaturgisch sehr wirksam.
Ist Bonds ermittlerische Vorgehensweise glaubwürdig und zielführend? 14

Bond ist hier als klassischer Ermittler zu sehen. Angefangen von kreativer Informationsbeschaffung bei Draco und den Piz-Girls, über den Einbruch in Gumboldts Büro bis hin zu seiner glaubwürdigen Verkörperung des Heraldik-Beamten. Es gibt hier auch wieder die noch in den ersten beiden Bondfilmen typische ausgiebige Untersuchung des "Hotelzimmers". Der Fauxpas mit der St.-Anna-Kirche ist da zu entschuldigen.


Allgemein


Bond-Feeling: 15
Ski-Szenen gehören seit OHMSS zum Arsenal klassischen Bondfeelings, wurden in dieser Brillianz aber nicht wieder erreicht.
Fleming-Feeling: 15

Der vorläufige Höhepunkt. Die 1970er entfernten weiter vom Original als je zuvor und danach. 
Dialoge/Humor: 14
Spannung: 14
Logik/Schlüssigkeit der Story: 12

Das ist ein Punkt, der dem Film oft angekreidet wird. Blofelds Plan sei hanebüchen und lächerlich umständlich. Aber ist er das tatsächlich? Fernsteuerung durch Hypnose wurde damals für durchaus möglich gehalten. Die sichersten Terroristen sind letztlich die, die weder wie welche aussehen, noch selbst wissen, dass sie welche sind. Ohne Bonds Ermittlungsarbeit hätte niemand gewusst, dass das Allergieprogramm nicht nur Fassade, sondern auch Teil des Plans ist. Blofeld hätte zum gegeben Zeitpunkt ohne größeren Aufwand den Virus weltweit freisetzen können.

Es ist im Rahmen der Bondfilme amüsant übertrieben, aber nicht völlig lächerlich und unrealistisch. Es gab und gibt nicht wenige Geheimdienste, die exakt solche Methoden ausprobierten.


Produktions-Design: 15

Stele von Willy Bogner auf dem
Bond Walk am Piz Gloria
Eins der Produktionsdesigns, das sogar die physische Welt verändert hat. Einige Anbauten des Restaurants auf dem Schilthorn wurden erst durch die finanzielle Beteiligung der Filmproduktion möglich. Und der Berg heißt heute auch Piz Gloria. 
Die Innenräume, wie Blofelds Büro mit Aussicht auf die halb unterirdischen Labore sind ebenfalls sehr gelungen.
Spezialeffekte: 13
Stunts: 15

Die Stunt-Arbeit vor allem von Willy Bogner ist grandios und wegweisend.
Bildgestaltung: 15

Peter Hunt und Cutter John Glen waren hier sehr experimentierfreudig. Zum ersten Mal wurden Zeitlupe, Rückblenden, sehr schnelle Schnittfolgen oder das Durchbrechen der vierten Wand verwendet. Mit Blick auf die Craigfilme war man damit seiner Zeit sehr weit voraus.



Locations

Drehorte: 15
Lokalkolorit: 15
Kombination: 15

Die Note Eins plus finde hier mehr als berechtigt. OHMSS ist der einzige Bondfilm bisher, der vollständig in Europa realisiert wurde. Daher ist es auch der Film, bei dem ich den größten Teil der Drehorte besucht habe. Sowohl Portugal als auch die Schweiz sind grandios fotografiert und bilden einen wirkungsvollen Kontrast zwischen Wärme und Kälte. Ein weiterer Punkt, warum ich mich an diesem Film nie satt sehen kann. Dazu kommen auch etwas ausführlichere London-Szenen.


Einheimische und lokale Feierlichkeiten machen die Drehorte sehr lebendig


Musik

Titelsong: 15

Allgemein: 15

Auch hier kann ich nur Bestnoten vergeben. John Barrys Musik für den Film ist eins seiner besten Werke überhaupt. Es unterstreicht die Melancholie und die unterschwellige Bedrohung, und unterstützt mehr als sonst die Dramaturgie. Während des Gesprächs zwischen Bond und Draco wechselt beispielsweise mehrmals fast unmerklich die Stimmung.


Das schnelle, instrumentale Hauptthema passt sehr gut zum Titel, während We Have All The Time in the World die wahrscheinlich beste Ballade des gesamten Franchise' ist.


Fazit - Gewonnen oder verloren?

Als Lieblingsbond kann er eigentlich gar nicht mehr so viel gewinnen. Mich fasziniert er jedes Mal aufs Neue - auch diesmal, und er hat eine spezielle Magie, die man schwer beschreiben kann, und die andere Filme nicht wieder erreichten. Einfach ein Meisterwerk.

Gefühlt: 15/15
Errechnet: 13,58/15

Also zwischen 85 und 90 % und aufgerundet eine 1: Die Leistungen entsprechen den Anforderungen in besonderem Maße.



James Bond will return in



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