Mittwoch, 17. Dezember 2014

Bonds Alp-Traum

45 Jahre OHMSS: Die Faszination des Einmaligen in der Welt des Seriellen

Der sechste Bondfilm ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE hat sich seit seiner Entstehung vom skurrilen und vermeintlich enttäuschenden Ausrutscher zum Liebling vieler Fans gemausert. Selbst Top-Regisseure wie Steven Soderbergh oder Christopher Nolan erklärten öffentlich ihre Leidenschaft für diesen Film. Soderbergh sagte: "For me there's no question that cinematically is the best Bond film and the only one worth watching for reasons other than pure entertainment. Shot to shot, this movie is beautiful in a way none of the other Bond films are." (Siehe Soderberghs Blog Extension 765) Für Nolan war der Film eine der Inspirationen für INCEPTION: "Especially 'On Her Majesty’s Secret Service', which is a wonderful balance of action and romanticism. I guess this is my 007 film." (Siehe hier) Wenn ich sonst auch wohl nicht viel mit diesen beiden Männern gemein habe, so doch wenigstens den Lieblings-Bond. Aber was ist eigentlich so toll an diesem Film?

Über Bonds Liebe, Fan-Liebe und gewisse Parallelen zu Hitchcocks VERTIGO:





ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE VHS CoverMein persönliches Verhältnis zu OHMSS ähnelt in gewisser Weise der öffentlichen Wahrnehmung. Zuerst konfrontiert wurde ich mit ihm in einer Videothek, und zwar mit nebenstehendem VHS-Cover, wenn ich mich richtig entsinne. Trotz des recht offiziell wirkenden Schriftzugs 'James Bond 007' hielt ich den Film damals für irgendeine Nachmache oder einen Fernsehfilm, und nahm ihn nicht weiter ernst. Dann wurde ich irgendwann Fan und besorgte alle Romane und Filme. Bei OHMSS schaffte ich es, den Roman von Ian Fleming vor dem Film zu lesen. Mit dem typischen Effekt, dass ich von der filmischen Umsetzung etwas enttäuscht war. Mit der Zeit wanderte der Film vom unteren Drittel der Liste langsam zur Numero Uno. Heute entfaltet er von der ersten Einstellung und der ersten Note an eine besondere Magie, an die kein anderer Bondfilm herankommt.

20 Jahre vor LICENCE TO KILL und 39 vor QUANTUM OF SOLACE hat hier zum ersten Mal ein Regisseur einen Bondfilm gedreht, der mehr ist als ein weiterer, typischer Genre-Beitrag. Und das, ohne auf typische Zutaten, Glamour und überlebensgroße Phantasiewelten zu verzichten. Und zu einer Zeit, als die Zuschauer nach überbordenden 007-Shows verlangten. Eigentlich wollte man OHMSS bereits 1965 realisieren, aber dann konnte man sich mit Kevin McClory über eine Thunderball-Verfilmung einigen. Danach wollte man keinen "Feuerball auf Skiern", und so wurde es erst der sechste Film. 


Ich sehe die Produktionsumstände als großen Glücksfall, denn in der Connery-Hochkonjunktur hätte man mit hoher Wahrscheinlichkeit das tragische Ende weggelassen, vielleicht sogar die Hochzeit. In den Siebzigern dagegen wäre der Roman wohl gänzlich zum Stichwortgeber für ein ironisches Spektakel degradiert worden. Zur genau richtigen Zeit kam der perfekte Regisseur. Peter Hunt hatte die handwerkliche Erfahrung, das Talent und die Ambitionen.


Gegenlicht als Visualisierung
einer unterschwelligen Bedrohung
So kam eine relativ vorlagengetreue Verfilmung von Ian Flemings bestem Roman heraus. Was ich sowohl am Buch als auch am Film sehr schätze, ist die leise Melancholie, die über die ganze Geschichte hinweg zu verspüren ist. Aber sie drängt sich nie in den Vordergrund. Vordergründig sind die Elemente, die Bond ausmachen: Action, Superschurken in Verstecken mit verrückten Plänen, schöne Frauen und Landschaften, Casinos und Martinis.

Die Melancholie ist begleitet von einer ebenso leisen Ironie. In einer meiner Lieblingsszenen irrt Bond allein und frierend über einen Weihnachtsmarkt, während man ein lächerlich kitschiges Weihnachtslied hört und er mit einem Mann im Eisbärkostüm zusammenstößt.

In QUANTUM OF SOLACE werden Bond und Camille als "gebrauchte Ware" bezeichnet. Das gilt auch bereits für OHMSS. Der Film spielt mit dem Thema Prostitution - was auf den ersten Blick vielleicht weit hergeholt klingen mag. Als sich Bond und Tracy zum ersten Mal begegnen, fühlt sie sich in seiner Schuld. Er rettet ihr Leben und bezahlt ihre Spielschulden. "Betrachten Sie mich als eine Frau, die Sie soeben gekauft haben", sagt sie trotzig. Und Bond deutet an, dass ihr das vielleicht sogar gefällt. Später "kauft" Bond Tracy gegen Informationen von Draco über Blofeld.

Aber auch Bond muss sich in gewisser Weise als "Romeo" in den Diensten der Königin verdingen. Die Verführung der internationalen Schönheiten auf dem Piz Gloria gehört zu seinem Auftrag, Blofelds Plan zu ermitteln. Er erledigt sie mit einer abgespulten Routine - ein Kontrast zu der romantischen Intimität mit Tracy. (Lazenbys Hintergrund als durchtrainierter Dressman kam diesem Aspekt sogar zugute.) Und am Ende wird Bond auch quasi für seine Untreue bestraft.

Schwindelgefühle


The Living and the Dead, the novel of which Hitchcocks VERTIGO was based
Die Vorlage zu VERTIGO
Dabei erinnert mich die Geschichte teilweise an Alfred Hitchcocks VERTIGO von 1958, beziehungsweise der Romanvorlage D'entre les morts von 1954. Ob sich Ian Fleming tatsächlich von Buch oder Film inspirieren ließ, ist mir nicht bekannt. In VERTIGO (übrigens mein absoluter Lieblings-Hitch) wird John Ferguson von einem Freund gebeten, auf seine offenbar selbstmordgefährdete Frau Madeleine aufzupassen. Ferguson beobachtet sie bei einem Selbstmordversuch, bei dem sie sich zu ertränken versucht, rettet sie und verliebt sich dabei in sie.

In OHMSS wird Bond von Draco gebeten, auf die suizidgefährdete Tracy aufzupassen. Er beobachtet einen Selbstmordversuch, bei dem sie sich wie Madeleine im Meer zu ertränken versucht. In beiden Filmen wirkt der Tod der Geliebten am Ende umso tragischer und ironischer, da der Held sie erst rettet und sie dann, als sie gar nicht mehr sterben will, auf mitverschuldete Weise verliert. 

Szene aus VERTIGO, Szene aus ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE
A View To A Suicide

In VERTIGO begegnet Ferguson später einer Frau, die Madeleine sehr ähnlich ist (und sich auch als dieselbe herausstellt). Die Geschichte scheint sich auf unheilvolle Weise zu wiederholen. In Flemings Roman spielt sich die Rettung von Tracy und das Verlieben in Royale-Les-Eaux ab, wo sich im Roman Casino Royale Jahre zuvor Bonds Liebe Vesper umbrachte. Auch hier ist also ein gewisses dramatisches Déjà Vu vorhanden. 

In Peter Hunts Verfilmung gibt es diesen Aspekt nicht. Dafür aber in dem 30 Jahre später gedrehten THE WORLD IS NOT ENOUGH. Bond begegnet hier einer Frau, in die er sich verliebt, und die er am Ende töten muss. Anspielungen auf Tracy und OHMSS sind in Vielzahl vorhanden - angefangen vom Titel - ebenso wie auf VERTIGO: Bond folgt Elektra einen alten Turm hinauf. (Man glaubt es kaum, Mut zur Ambition vor Daniel Craig.)

Sogar eine Mann-gegen-Mann-Verfolgung über Großstadt-Dächer war ursprünglich Bestandteil des Drehbuches von OHMSS - die berühmte Phidian-Jagd, die mit einem spektakulären Zugunfall enden sollte. Doch sie fiel wegen der Länge des Films leider der Schere zum Opfer. Aber zumindest ein Hitchcock-ähnliches Cameo gönnte sich Peter Hunt.

The Good, the Bad, and Lazenby

Als Fan eines Films neigt man immer dazu, gewisse Schwachpunkte zu ignorieren, oder sie zu Stärken umdeuten zu wollen. Einer der offensichtlichen Schwachpunkte hier ist wohl George Robert Lazenby. Sicherlich ist Lazenby nicht gerade Marlon Brando, aber trotzdem bin ich der Meinung, dass seine mangelnde Schauspiel-Erfahrung den Film nicht völlig runterreißt. Im Gegenteil. Ein erfahrenerer Schauspieler hätte sicher mehr Subtext und Zweideutigkeit in sein Spiel gelegt. Durch seine direkte, hemdsärmelige Art wirkt Lazenbys Bond aber auch noch nicht vom Agentengeschäft korrumpiert. Umso mehr fühlt man mit ihm am Ende mit.

Früher war ich der Meinung, dass OHMSS mit Sean Connery der absolute Über-Bond geworden wäre. Das sehe ich mittlerweile nicht mehr so. Connery hatte eine beeindruckende Karriere, aber eine wirklich große Romanze ist meiner Meinung nach nicht dabei. Dafür wirkt er zu eigenwillig. Er ist nicht der Mann, der für eine Frau alles aufgeben würde.
OHMSS Lissabon
Der Autor vor dem Juwelier, bei dem Bond die
Hochzeitsringe kauft; im Film in Bern, nicht Lissabon
Auch die Rückprojektionen werden oft kritisiert. Vor allem in der finalen Bobschlittenjagd wirken sie oft etwas störend. Ursprünglich hatte man für den Film einen Kampf zwischen Blofeld und Bond auf dem Dach einer fahrenden Seilbahn geplant, aber weil das 1968 bereits in WHERE EAGLES DARE (Agenten sterben einsam) sehr gut umgesetzt wurde, musste man kurzfristig umdisponieren. Vielleicht wirken die Rückpros deshalb nicht so ganz ausgereift. (Mehr dazu hier.)

ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE ist auf jeden Fall ein Film, bei dem ich immer wieder neue Details und Sichtweisen erkenne, und der mich jedes Mal auf's Neue berührt. Vielleicht geht es Ihnen ja ebenso. Wenn nicht - Weihnachten ist die perfekte Zeit für diesen Film, und auch für gute Taten. Geben Sie George noch eine Chance! ;-)



Buchtipp: 
Charles Helfenstein: The Making of On Her Majesty's Secret Service

Wo viele andere Bücher über Bond nur an der glitzernden Oberfläche kratzen und die üblichen Halbwahrheiten kolportieren, geht Helfensteins Buch richtig in die Tiefe. Ein Buch vom Fan für Fans.

Spies Llc, 2009
53,73 €


Beiträge zum Thema:
Unter portugiesischer Sonne - Die OHMSS-Drehorte in Portugal
Schloss Mittersill - Inspiration für Blofelds Alpendomizil


Rechte an Bildern und Postern aus ON HERMAJESTY'S SECRET SERVICE: Eon Productions Ltd., Danjaq, LLC

2 Kommentare:

  1. Eine sehr schöne Julibäumsbesprechung! Allerdings muss ich bei aller Zustimmung auch sagen, dass OHMSS der Status des "Einmaligen in der Welt des Seriellen" doch mittlerweile etwas abhanden gekommen ist; sowohl inhaltlich, als auch iszenatorisch. LTK war hier richtigerweise ein weiterer besonderer Bond, aber seit Craig am Ruder ist, wurde das "Einmalige" doch quasi zum Seriellen erhoben, oder? CR, QOS, SF und auch der kommende SP (lt. Infos) zeigen Bond beständig im emotionalen Ausnahmezustand. Von daher ist OHMSS nicht mehr so einmalig wie noch bis vor rund zehn Jahren. Trotzt allem schließe ich mich der Einschätzung an, dass OHMSS wohl nur am Scheitelpunkt der beiden großen Bond-Jahrzehnte (60-70er Jahre) so hätte produziert werden können. Evtl. wären die Craig-Filme ohne das Vorbild OHMSS so auch nicht denkbar gewesen? Das liegt zumindest als gedankengang nahe.

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  2. Danke für den Kommentar und das Lob! Der Aspekt, dass Bond persönlich betroffen ist, ist mittlerweile alles andere als einmalig, das stimmt schon. In der Craig-Ära gilt ja "This time it's really, really, really personal!" Aber Lazenby ist bisher der einzige Darsteller, der nur einen Bond gemacht hat. Dazu kommt die einmalige Regie von Peter Hunt. Bond heiratet zum einzigen Mal ernsthaft. Und Lois Armstrong hat eine seiner letzten Aufnahmen beigesteuert. Das macht ihn ja schon zu einem gewissen Unikum.

    OHMSS hat auch einen menschlichen, persönlich betroffenen Bond gezeigt, als es noch nicht en vogue war, und das Publikum noch lange nicht dafür bereit. Das ist ein bisschen so, als ob jemand The Dark Knight als Episode der Batman-Fernsehserie in den Sechzigern gedreht hätte - etwas überspitzt gesagt. Heute wäre es wahrscheinlich eher mutig und gegen den Zeitgeist, mal ein fröhliches Abenteuer ohne persönliche Altlasten zu drehen. Mission: Impossible 4 fand ich in der Beziehung schon ziemlich gut.

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