Samstag, 5. Oktober 2013

Sag niemals nie, oder: Der Kalte Krieg hinter den Kulissen

Das "inoffizielle" schwarze Schaf der Familie wird 30

Das phantastische deutsche Poster
Als Albert Broccoli und Harry Saltzman sich mit Kevin McClory zusammentaten, der die Rechte für den Fleming-Roman Feuerball inne hatte, entstand daraus der bis heute größte finanzielle Erfolg des gesamten Franchise. Doch der Erfolg hatte einen unschönen Preis: McClory sollte nach zehn Jahren das Recht haben, den Roman erneut zu verfilmen. Wahrscheinlich hatte Cubby Broccoli nie damit gerechnet, dass zehn Jahre später noch irgendjemand ein ernsthaftes Interesse an James Bond haben würde, doch als es dann soweit war, tauchte McClory mit der Unnachgiebigkeit einer Märchenfigur auf und verlangte seinen Tribut.







Die Geschichte um Feuerball ist ein eigener Thriller für sich - nachzulesen in dem brillant recherchierten Buch The Battle for Bond von Robert Sellers. Ian Fleming hatte für seine Schöpfung James Bond von Anfang an eine Kino-Umsetzung im Auge. Schon das dritte Buch Moonraker war eine Verarbeitung eines geplanten Filmplots. Nach der sehr bescheiden ausgefallenen TV-Adaption von Casino Royale 1954 war Fleming allerdings mehr als ernüchtert und hatte wohl vorerst alle Hoffnungen auf eine cineastische Fortführung der Abenteuer seines Helden aufgegeben. Das Interesse des Produzenten Kevin McClory muss ihm Ende der 1950er dann wie ein echter Silberstreif am Horizont erschienen sein. Immerhin hatte McClory mit THE BOY AND THE BRIDGE einen passablen Film abgeliefert, der sogar auf den Filmfestspielen von Venedig lief.

Doch McClory wollte nicht auf einen der bestehendes Romane zurückgreifen, sondern eine eigene Story entwerfen. Die Zutaten waren schnell klar: Bond, die Bahamas, die Ende der 1950er unheimlich exotisch erschienen, Unterwasser-Action und Atombomben. Nach dem Film AL CAPONE mit Rod Steiger erwägte man als Drahtzieher die Mafia einzubauen. Das ist auch der Grund, weshalb fast alle Namen in Buch und Film italienisch sind. Letztlich entschied man sich jedoch für eine fiktive Verbrecherorganisation mit dem Namen S.P.E.C.T.R.E. - Der Beginn einer wunderbaren Feindschaft.

Doch die Filmpläne scheiterten vorerst, und Fleming verwendete die Ideen einfach für seinen neusten Roman Feuerball ohne McClory zu erwähnen. McClory verklagte daraufhin Fleming, der sich bis dahin keiner Schuld bewusst war. In den folgenden Prozessen schenkten sich beide Parteien keinen Meter. Einige Ideen Flemings wurden öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch wenn sich Fleming in einigen Dingen nicht korrekt verhalten hatte, kostete ihn das Gerichtsverfahren einen Herzinfarkt, und letztendlich wohl vorzeitig das Leben. Auch um die Urheberschaft von S.P.E.C.T.R.E. wurde gestritten, die McClory auch für sich in Anspruch nahm. Aber wenn man sich das weitere kreative Output von Fleming ansieht und auch sein Faible für Akronyme (auch die Organisation in der Fernsehserie Solo für U.N.C.L.E. geht auf sein Konto), dann ist Fleming als Urheber doch wesentlich wahrscheinlicher.

Ab 1975 wurde McClory dann aktiv und strebte eine erneute Verfilmung von Feuerball an. Seine Pläne waren hochfliegend - oder besser gesagt tieftauchend. Sein Faible für Unterwasserszenen (McClory besaß sogar ein eigenes Auto, das schwimmen konnte) mündete in eine wilde Story, die als "Star Wars unter Wasser" in Filmkreisen bekannt wurde. Wenn man sich den genauen Plot um Roboter-Haie und die Freieheitsstatue in The Battle for Bond durchliest, bekommt man schon Lust, soetwas auf der großen Leinwand zu sehen.

The Legacy

Letztendlich dauerte es einige Jahre und Drehbuchversionen, bis die Pläne schließlich konkreter wurden. 1983, als das Wunderkind THUNDERBALL quasi volljährig wurde, erblickte sein ungeliebter Bruder das Licht der Leinwände. Die Story war dann doch um einiges schlichter als ursprünglich geplant und hielt sich mehr an die literarische Vorlage. Unter anderem auch, weil THE SPY WHO LOVED ME dem geplanten 'großen Unterwasserabenteuer' die Butter vom Brot genommen hatte. Obwohl Cubby seit 18 Jahren wusste, was da auf ihn zukam, war er 'not amused'. Bis heute ist die Broccoli-Familie nicht gut auf das Konkurenzprodukt zu sprechen. In der Dokumentation EVERYTHING OR NOTHING sagt Barbara Broccoli beispielsweise, dass McClory erkennen musste, dass Connery allein nicht ausreicht für einen Bondfilm. Dabei muss man fairerweise sagen, das NEVER SAY NEVER AGAIN außer Connery noch einige andere bemerkenswerte Zutaten enthält, die ihrer Zeit teilweise voraus waren. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele davon das "offizielle" Franchise beeinflussten.

Um ein paar zu nennen:

- Die Gegenspieler
Bis inklusive OCTOPUSSY setzte man in den EON-Bondfilmen auf den gesetzten älteren 'Villain', der im Hintergrund die Fäden zieht. NEVER SAY NEVER AGAIN etablierte dagegen einen vergleichsweise jungen und vitalen Gegenspieler, der die Öffentlichkeit nicht scheut. Klaus Maria Brandauer spielte Largo auf eine Weise, die nicht viel mit der sinsistren Art eines Blofeld oder Stromberg zu tun hat, aber trotzdem interessant und teilweise bedrohlich wirkt. Brandauer hatte seine Karriere außerdem noch vor sich, während Schauspieler wie Jürgens oder Jourdan sie eher hinter sich hatten.

Interessanterweise tauchte bereits in A VIEW TO A KILL ein Schurke auf, der ebenfalls eher jung und dynamisch wirkt, und dessen Darsteller noch am Beginn einer vielversprechenden Karriere stand. Mit Sanchez, Trevelyan, Graves und Co. wurden die Gegenspieler dann stetig jünger und physisch präsenter.

Mit Fatima Blush hatte man ebenfalls einen Charakter geschaffen, der im Vergleich zu Fiona Volpe wohl überspitzt wirkt, der aber sehr gut funktionierte und ankam. Ebenfalls in A VIEW TO A KILL tauchte mit May Day nun auch eine sexuell agressive Schurkin in extravaganten Kostümen auf. Und auch Xenia Onatop in GOLDENEYE wirkt deutlich von Fatima Blush inspiriert.

- Das Verhältnis zu Q, M und Leiter
In den EON-Filmen war das Verhältnis zwischen Bond und M sowie Q bis THE LIVING DAYLIGHTS so ziemlich gleichbleibend. M war einfach der grummelige Stichwortgeber, und Q der stetig Kopfschüttelnde, der von Bonds kindischer Art genervt war. In NEVER SAY NEVER AGAIN ist dagegen erstmals ein M zu sehen, der eher wie ein Gegenspieler von Bond auftritt und ihm das Leben schwermacht. Ab LICENCE TO KILL wurde M auch in den EON-Filmen zu einem differenzierten Charakter, der Bonds Eigenarten nicht nur grummelnd hinnimmt.

Q dagegen geht in NEVER SAY NEVER AGAIN überhaupt nicht auf Konfrontationskurs mit 007, sondern wirkt eher wie ein heimlicher Verbündeter. Das wurde Q dann auch in LICENCE TO KILL und THE WORLD IS NOT ENOUGH.

Felix Leiter war in den meisten EON-Produktion eher ein Anhängsel, vom Alter her oft fast schon eine Art Onkelfigur. In NEVER SAY NEVER AGAIN ist er ein glaubhafter Freund Bonds, ein gleichaltriger Buddy auch in Actionszenen. Das war Leiter auch in späteren EON-Filmen eher selten, am ehesten jedoch noch in CASINO ROYALE und QUANTUM OF SOLACE, wo er interessanterweise auch schwarz ist.

- Gadgets und Technik
Während OCTOPUSSY teilweise wie ein Rudyard-Kipling-Abenteuer wirkt, erscheint NEVER SAY NEVER AGAIN fast schon futuristisch. Bond fährt hier das bis heute einzige Gadget-Motorrad überhaupt! Erst mit GOLDENEYE und TOMORROW NEVER DIES setzte man auch den EON-Bond auf ein Motorrad. In GOLDENEYE tauchten erstaunlicherweise auch fast dieselben Gadgets auf: Eine Laseruhr und ein explosiver Stift. Und es gibt einen Q-Gag um ein vermeintliches Gadget: dort einen Inhalator, hier ein Baguette. Auch die offenbar holografische 3D-Projektion im Dominationspiel findet eine Entsprechung in THE WORLD IS NOT ENOUGH.

Interessant ist auch, dass James Camerons Bondhommage TRUE LIES neben Anspielungen an die frühen Klassiker wie GOLDFINGER oder THUNDERBALL auch eine Tangoszene enthält, die stark an NEVER SAY NEVER AGAIN erinnert.

Offiziell oder inoffiziell?

Als Skurrilität kann man nur die sich bis heute auch in Büchern und Zeitschriften zu findende Titulierung "inoffizieller Bondfilm" für NEVER SAY NEVER AGAIN bezeichnen. Kann ein Film, der legal in die Kinos kam und heute legal und überall als DVD und Bluray erhältlich ist, überhaupt in irgendeiner Form "inoffiziell" sein?

Als Grund werden häufig die fehlenden Stammzutaten angeführt, wie Gunbarrelsequenz, Bondtheme oder Titelsequenz. Aber gerade mit diesen Ingredienzen wird auch in den EON-Filmen zunehmend experimentell umgegangen. NEVER SAY NEVER AGAIN enthält beispielsweise Moneypenny und Q, die in CASINO ROYALE und QUANTUM OF SOLACE fehlen. Letzterer Film beginnt zudem ebenfalls ohne klassische Gunbarrel mit einem Helikopterflug über eine Landschaft.

Zudem kann man NEVER SAY NEVER AGAIN auch ähnlich wie CASINO ROYALE eher als eine Neuverfilmung sehen, und weniger als Remake. Der Film hält sich in vielen Details sogar mehr an den Roman als THUNDERBALL. So ist Domino beispielsweise blond, bestellt eine Bloody Mary mit viel Worcestersauce, Largo ist wie im Buch jünger und attraktiver, Bond ist wegen seiner desolaten Gesundheit im Sanatorium und Largo wird unter Wasser besiegt. Der Name Fatima Blush geht ebenfalls auf eine frühe Idee von Fleming zurück.

Aber mal ganz abgesehen von diesen Feinheiten ist es auch einfach unfair, einem Film Dinge vorzuwerfen, die er rein rechtlich gar nicht benutzen durfte.

Ein weiteres Argument für das Prädikat "inoffiziell" wird oft die teilweise mangelnde Qualität des Films genannt. Da muss man sich jedoch dann fragen, ob der Film offizieller wäre, wenn er die Klasse von THE SPY WHO LOVED ME oder CASINO ROYALE erreicht hätte.

In vielen Aspekten lässt NEVER SAY NEVER AGAIN etwas zu wünschen übrig. So etwa beim Produktionsdesign, der Musik (die stellenweise wirkt wie aus einem japanischen Monster-B-Movie) oder auch der Action. In anderen finde ich ihn dagegen äußerst unterhaltsam, vor allem in den Dialogen und dem Schauspiel zwischen Connery, Brandauer und Carrera. Es ist auf jeden Fall ein Franchise-Beitrag, den ich nicht missen möchte.

3 Kommentare:

  1. "Zudem kann man NEVER SAY NEVER AGAIN auch ähnlich wie CASINO ROYALE eher als eine Neuverfilmung sehen, und weniger als Remake."

    Ein Remake ist eine Neuverfilmung...

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  2. Okay, ist etwas widersprüchlich formauliert. Mit Neuverfilmung meinte ich einen Film, der sich vor allem auf den Originalstoff bezieht, auf den auch frühere Verfilmungen basieren. In dem Fall Flemings Roman bzw. das Ur-Drehbuch von Fleming, McClory und Wittingham. Unter Remake verstehe ich eher eine neue Version eines früheren erfolgreichen Films. Ein Beispiel für ersteres wäre "Kampf der Titanen" von 2010, für letzteres "Mary Shelleys Frankenstein" von 1994, der bewusst vorhandene Verfilmungen ignoriert und sich auf das Buch konzentriert. Oder eben "Casino Royale" von 2006, der ja kein Remake des TV-Films von 1954 ist.

    Da die meisten Filme auf einem Buch, Theaterstück etc. basieren, sind die Unterschiede meistens fließend. Aber Neuverfilmungen, die sich auf den Urstoff beziehen, haben meistens einen besseren Ruf als welche, die einen erfolgreichen Film quasi nochmal drehen.

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  3. Jetzt hab ich die Beispiele jeweils in der Reihenfolge vertauscht...

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