Ein kleiner nostalgischer Rückblick auf diese erkalteten Lagerfeuer des Fandoms.
Der beste Bondfilm ist immer der, auf den man sich gerade freut, und den man noch gar nicht gesehen hat. Diesmal machen sie bestimmt alles richtig; bei den Darstellern und Locations kann doch eigentlich gar nichts schief gehen... Das galt natürlich auch und vor allem für DIE ANOTHER DAY, oder DAD, wie ihn Fans gern abkürzen. (Und ich erinnere mich tatsächlich sogar an einen Thread bei CommanderBond, bei dem die Abkürzung diskutiert wurde und Fans bemängelten, wie lächerlich DAD doch eigentliche klinge...)
Zwar schwante mir eigentlich schon nach GOLDENEYE - der Film, auf den ich mich in meinem Leben wohl am meisten gefreut habe - dass diese Vorfreude an sich wohl vor allem eine Art Sinnestäuschung ist, auf die das Gehirn immer und immer wieder neu herein fällt, ähnlich wie bei den berühmten Bildern von M.C. Escher. Die Treppe, auf der man immer wieder im Kreis hinauf geht. Und doch versprach DAD tatsächlich viel mehr als der durchschnittliche Bondfilm.
Zum einen war das Star-Aufgebot gefühlt schon etwas höher. Nachdem man noch in GOLDENEYE eher unbekanntere Schauspielerinnen als Bondgirls castete, war Halle Berry doch schon eine beachtliche Hollywoodgröße. Immerhin erhielt sie während der Dreharbeiten einen Oscar für ihre Rolle in Marc Forsters MONSTER'S BALL. (I think she got the thrust of it). Selbst kleinere Nebenrollen waren mit Namen wie Michael Madsen besetzt. Und dann war da natürlich auch ein sehr cleveres Marketing, das das Jubiläum ähnlich ausgiebig nutzte wie Der Spion, der mich liebte 1977 sein Startdatum. 007 schoss gefühlt aus allen Rohren auf allen Kanälen.
Es gab nach den eher zwiespältig aufgenommenen Ausflügen in Bayrische Motorenwerke endlich wieder einen richtig schönen Aston Martin. Auch vor Filmstart tauchten schon Gerüchte auf, dass der Wagen sich wohl angeblich unsichtbar machen könne - Aber das waren sicher nur Übertreibungen der Yellow Press; wirklich unsichtbar, so wie im Märchen, das werden die sicher nicht bringen...
Als Arbeitstitel tauchte Beyond the Ice in den Medien auf, inklusive eines recht dubios klingenden "abgelehnten Titelsongs" von einer Formation namens Red Flag (siehe hier). Ob das Stück es tatsächlich jemals bis in die Büros von Eon Productions geschafft hat, ist wie immer fraglich. Aber es reichte aus, um aus den recht simpel gestrickten Lyrics Hinweise auf die Filmhandlung abzuleiten und es sich auf den Winamp-Player zu laden.
Der tatsächliche Titelsong von Madonna löste später allerdings keine nennenswert größere Begeisterung aus, und war das erste Anzeichen dafür, dass DAD vielleicht doch nicht der Vater aller Bondfilme werden würde. Auch das so teure wie kryptische Video zum Lied löste kontroverse Diskussionen aus, ebenso wie Meldungen um einen geplanten Spin-off-Spielfilm um die von Halle Berry gespielte NSA-Agentin Jinx - vor dem uns rückblickend wohl eine höhere Macht bewahrt hat. Grundzüge dieses Films, der ein vergleichsweise ernsthaftes Prequel über Jinx' Agenten-Werdegang werden sollte, finden sich später dann in THE RYTHM SECTION.
Was heute oft übersehen wird, ist dass auch das Handlungselement von Bonds Gefangennahme und Folterung 2002 zum Teil sehr kontrovers aufgenommen wurde. Aus heutiger Sicht mit den Erfahrungen der Craig-Ära wirkt die erste Stunde von DIE ANOTHER DAY für viele Fans ziemlich gut und annehmbar. Damals jedoch wirkte der Umstand, dass Bond es über Monate hinweg nicht schaffen kann, den nordkoreanischen Schergen zu entkommen, teils sehr befremdlich und 'unbondig'. So heißt es etwa in einem entsprechenden Thread im Bondforum: "Ja, die Gefangenschaft war das Unbondigste überhaupt in 40 Jahren James Bond." Oder auch: "Das Bond 14 Monate gefangen ist und er es nicht schafft, sich zu befreien, ist einfach schlecht und bonduntypisch." Man könnte sagen: Dadurch, dass Stirb an einem anderen Tag dieses Element einführte, aber durch andere Mängel den Fokus davon wegnahm, wurden Fans an einen schwächelnden Bond gewöhnt. Bond auch als Verlierer darzustellen bildete das Fundament der Craig-Ära.
Unmittelbar nach Filmstart waren die meisten Reaktionen aus heutiger Sicht zum Teil noch erstaunlich wohlwollend. Ich erinnere mich, dass im Forum von CommanderBond jemand, der sogar selbst in der Filmbranche arbeitete, den Film unmitelbar nach der Pressevorführung als besten Bond aller Zeiten empfand. Und auch im deutschen Forum befanden viele Fans den Film als solide bis gelungen, wie etwa hier zu erkennen. Und ja - darunter war auch ich. Nach sehr gemischten Gefühlen beim ersten Kinobesuch entdeckte ich beim zweiten Mal, dass sich die ganzen Anspielungen an frühere Bondfilme in ein chronologisches Schema einordnen lassen und den Film zu einer Art Meta-Hommage machen, bei der Bond sozusagen seine eigene Geschichte rekapituliert. In der Folge verteidigte ich den Film leidenschaftlich und neigte dazu, mir seine offensichtlichen Schwächen schönzureden.
Ein Phänomen, dass ich gern Fan-Opportunismus nenne und öfter in Foren und Gruppen beobachte. Beispielsweise wurde der Titel "Skyfall", als er noch ein Gerücht aufgrund einer gesicherten Domain war, größtenteils als einfallslos und unbondig empfunden. Kaum war er einen Tag später offiziell bestätigt, fanden ihn viele plötzlich doch ganz fleming-esque. Und auch ein möglicher Tod von Bond in der Zukunft wurde, solange er nur rein theoretisch war und außerhalb des wirklich Denkbaren lag, von praktisch allen Fans als saudumme Idee und Super-Gau empfunden, der ihr Fandasein beenden würde, Bekanntermaßen findet ein großer Teil des Fandoms genau diese Idee nun unglaublich mutig und grandios. (Dieses Bestreben, an einem neuen Film positive Seiten entdecken zu wollen, auch auf die Gefahr hin, sie nicht zu finden, ist bei mir mittlerweile vollständig erloschen.)
Und doch lag genau in diesem wilden Spekulieren um auch auf den ersten Blick absurde Ideen ein unglaublicher Reiz dieser Foren. Ich erinnere mich beispielsweise an einen Thread im CBn-Forum, in dem jemand die Idee ins Spiel brachte, dass Miranda Frost (Rosamund Pike) nach Bonds Abwesenheit seine 007-Nummer bekommen haben könnte. Etwas, das dann im jüngsten EON-Film tatsächlich umgesetzt wurde - nur wäre es bei der verräterischen Miranda Frost dramaturgisch ungleich spannender gewesen.
Es gab eigentlich nichts, was die Schwarmintelligenz nicht diskutiert und oft auch vorweg genommen hat. Sogar die Möglichkeit von Bonds Tod wurde, wie erwähnt, schon vor vielen Jahren durchdiskutiert, inklusive der Todesart, die in "Keine Zeit zu sterben" schließlich gezeigt wurde. Im deutschen Bondforum hieß es etwa: "In freundlichem Feuer als Kollateralschaden zu enden ist zwar an sich ne blöde Art, aber es wäre seine eigene Wahl gewesen."
Mir fällt keine einzige Idee der Craig-Filme ein, die nicht schon vorher irgendein Fan in einem Forum zur Diskussion gestellt hätte. Von der Idee, Casino Royale zu verfilmen und in die Gegenwart zu übertragen, über Cyber-Terroristen bis hin zu möglichem Nachwuchs und Tod von Bond. Zum Teil waren die Ideen dort sogar noch wesentlich kreativer. Im Bondforum gab es etwa einen ganzen Bereich, in dem gemeinsam eigene Geschichten entwickelt wurden.
Jenseits der Wahrheit: Für den Film X FILES - I WANT TO BELIEVE (2008) wurde dieses Paparazzo-Bild mit einer alten Werwolf-Maske nachgestellt, nur um Fans im Internet zu verwirren. |
Auch SPECTRE sah sich durch den Sony-Hack, für den hinter vorgehaltener Hand Nordkorea verantwortlich gemacht wurde, massiven Spoilern ausgesetzt, durch die schon lange vor Filmstart enthüllt wurde, dass Christoph Waltz Blofeld und Naomi Harris Moneypenny spielen werden. Die Schauspieler wurden dadurch gezwungen, zu lügen, um die Überraschung nicht zu verderben. Waltz nannte das Internet daraufhin eine Pest. Auch bei "Keine Zeit zu sterben" sickerte im Voraus durch, dass Bond eine Tochter haben sollte.
Aber diese von Produzenten so gehassten Fan-Aktivitäten zeigen eigentlich auch ein anderes, tieferliegendes Dilemma moderner Franchises: Die Produktionsfirmen kolportieren gern den alten Mythos vom ausgebildeten und begnadeten Drehbuchautoren, der sich vom gemeinen Fan durch Professionalität und Talent abhebt. So meinte etwa Alex Kurtzman einmal zu Star-Trek-Fans, die seine Arbeit kritisierten, dass es einen guten Grund gäbe, warum Leute wie er in Hollywood arbeiten und Leute wie sie nur nörgelnde Fans seien. Tatsächlich beweisen aber mittlerweile täglich tausende von Fans, dass dieser Grund eben nicht in größerer Kreativität zu finden ist, im Gegenteil. Im Bereich Fan-Art beispielsweise übertreffen von nicht in der Filmbranche tätigen Künstlern geschaffene Plakate schon lange die offiziellen Bemühungen um Klassen, vor allem auch bei Bond. Der Kampfbegriff des "toxischen Fans" wurde von mittelmäßigen bis unterdurchschnittlichen Hollywood-Akteuren wie Kurtzman aus diesem Ärger heraus ins Spiel gebracht. Schuld sind immer diese Fans, oder auch das Internet an sich, nie die stetig sinkenden Qualitätsstandards des Mainstream-Kinos. Einer von mehreren Gründen, warum die großen Blockbuster nur noch selten solche Begeisterung auslösen wie in den 80ern und 90ern, und man zu solchen Brachial-Entscheidungen wie in "Keine Zeit zu sterben" greifen muss, um Fans überhaupt noch überraschen zu können.
Vielleicht ist es nur Nostalgie und absterbende Flexibilität, dass ich in den Gruppen sogenannter sozialer Medien nur einen unzureichenden Ersatz für diese klassischen Foren sehe, aber die Diskussionskultur ähnelt dort eher der Beziehung zwischen einer Motte und einer Glühbirne. Sie erschöpft sich meistens im Posten von Gossip-Headlines, deren künstlich erzeugten Provokationen gern unreflektiert übernommen werden, dem immer gleichen Vorschlagen von neuen Bonddarstellern, oder kurze Film-"Reviews" à la "war mal wieder toll/Mist". Und die Struktur der Reaktionen ist auch fast immer gleich: Erste Zustimmungen, dann ein Kommentar, der die Stimmung zum kippen bringt und wiederum Anhänger findet, und am Ende persönlich werdende Beschimpfungen. Über mehrere Seiten und wirklich in die Tiefe gehende Diskussionen finden sich sehr selten. Natürlich gab es diese Ansätze auch in den Foren, aber hier baute man trotz der üblichen Avatare zum Teil doch mehr persönliche Beziehungen auf, da einfach die Zahl der Mitglieder überschaubarer war und nicht alles gleich im endlosen Strom der Postings verschwand.
Die Foren brachten oft das Beste des Fanseins hervor, wie etwa die genannte Kreativität oder tiefgehende Diskussionen mit gegenseitig erweiterten Horizonten, während in 'sozialen Medien' der Ton sehr rau werden kann und oft auch eine etwas elitär wirkende "Mein Haus! Mein Boot! Mein Auto!"-Mentalität vorherrscht, bei der die dicksten Uhren und die teuersten Location-Besuche die meisten 'Likes' bekommen. (Ironischerweise feiert man sich gleichzeitig auch gern selbst für eine Art moralische Überlegenheit über Fans, für die der letzte Streifen nur ein sehr schlechter Witz war.)
In der Rückschau wirkt es auf mich nicht nur kurios, dass ich in diesen Foren - nicht nur denen zum Thema Bond - Diskussionen hatte, die mich zum Teil nachhaltig beeinflusst haben, und das mit Menschen, denen ich nie persönlich begegnet bin, ja noch nicht einmal ihren richtigen Namen wusste - sondern auch, dass dieses seltsam virtuelle Phänomen mittlerweile schon wieder den Nimbus der Nostalgie hat. Letztlich auch eine Art Trost - egal wie ungenügend und merkwürdig die Gegenwart erscheinen mag, wir leben immer in der "guten alten Zeit" von morgen.
Ob die Eiszeit in den Foren auch wieder einem Tauwetter weichen wird? Das ist wohl ähnlich unwahrscheinlich wie eine Rückkehr der Bondfilme zu Spaß und unbeschwerter Unterhaltung. Weniger, weil es der unabänderliche Lauf der Dinge ist, sondern eher, weil eine Mehrheit es als das akzeptiert.
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