Danny Boyle mit Himesh Patel (wikimedia) |
Die Grundidee - die Musik der Beatles verschwindet aus der Welt, und nur ein Musiker kann sich an die genialen Songs erinnern - hat mich damals nicht so richtig interessiert, aber mit dem Wissen von heute kann man darin auch Boyles Dilemma mit der Vorproduktion von Bond 25 wiederfinden: Stell dir vor, du darfst an einer der Ikonen deines Lebens teilhaben, aber nur zu dem Preis, dass diese nie wieder dieselbe sein wird, die sie war.
Interessanterweise beruhte die Idee zu YESTERDAY ursprünglich tatsächlich auf Überlegungen zu einem Film-Franchise: Drehbuchautor Jack Barth fragte sich, was passieren würde, wenn es STAR WARS nie gegegben hätte und er als Einziger, der sich daran erinnert, heute das Drehbuch dazu schreiben würde. Barths ebenso sarkastische wie realistische Annahme: Er würde es trotz des nachweislich unglaublichen künstlerischen wie kommerziellen Potentials der Idee nicht schaffen, diese zu verkaufen. Laut Barth war die Geschichte eine Meditation über die Enttäuschung, die das professionelle Arbeiten in einer Branche mit sich bringt. So ziemlich jeder Künstler hätte sich in dieser Story wohl wiederfinden können. Auch ein gefeierter Oscar-Preisträger wie Danny Boyle, der seine Idee für einen Bondfilm - die in der Presse als "pure movie gold" bezeichnet wurde - letztlich nicht verwirklichen konnte.
Und die bittere Ironie ist, dass auch Barths Drehbuch nur zu einem ungenannten Ideenlieferanten für eine Mainstream-Produktion wurde, die seine ursprüngliche Aussage auf den Kopf stellt. Nur die Prämisse blieb übrig: Stell dir vor, du wachst in einer Welt auf, in der es die Beatles nie gegeben hätte, und nur du als Musiker kannst dich an ihre genialen Songs erinnern. Pure music gold.
Falls der Grund für Boyles Abgeben der Bond-Regie tatsächlich war, dass er das schon lange vorher festgelegte Töten der Pop-Ikone nicht übernehmen wollte, kann man hier erstaunliche Parallelen zu YESTERDAY sehen. Hier wie dort bekommt ein Künstler die Chance, sich einen Lebenstraum zu erfüllen, aber der Preis dafür ist, dass für Millionen andere Menschen dieser Traum in seiner bisherigen Form kaputt sein wird. In beiden Fällen wäre eine ur-britische Ikone in dem verschwunden, was Menschen seit 60 Jahren in ihr sehen. Und hier wie dort kann man sagen: Aber sie existiert ja doch weiter - hier durch neu eingespielte und interpretierte Songs; dort, indem man den völlig entkernten und entzauberten Charakter irgendwie "rebootet". Und in beiden Fällen wird dem Künstler bewusst, dass das trotz allem nur ein Fake ist, und den dadurch erreichten Ruhm nicht wert.
Im Film gibt es eine sehr schöne Szene, in dem der von Himesh Patel gespielte Musiker "Help!" vor einem Millionenpublikum singt und nach dem Song ein verzweifeltes "Help me!" in die Masse schreit - und dem nur nachgespielten Titel damit ungewollt eine sehr persönliche Note verleiht. Sicherlich findet sich darin auch Boyles Abneigung vor Big-Budget-Hollywoodproduktionen allgemein wieder, die er in Interviews oft betont hat. Aber glaube ich nicht, dass das bei Bond ausschlaggebend war. Zu seiner Bond-Arbeit sagte er: “What John [Hodge] and I were doing, I thought, was really good, ... It wasn’t finished, but it could have been really good. We were working very, very well, but they didn’t want to go down that route with us. So we decided to part company, and it would be unfair to say what it was because I don’t know what Cary [Joji Fukunaga] is going to do. I got a very nice message from him and I gave him my best wishes… It is just a great shame.” (Indiewire) Daraus spricht schon echte Leidenschaft für seine Vision. Und Boyle fügt hinzu, dass er - ähnlich wie sein Protagonist - daraus auch viel über sich selbst gelernt habe.
In einer anderen Szene von YESTERDAY trifft der Protagonist Menschen, die sich ebenfalls noch an die Beatles erinnern können. Und statt ihn geistigen Diebstahls zu bezichtigen, danken sie ihm dafür, die Songs wenigstens wieder hörbar zu machen. Eine Welt ohne die Beatles ist eine sehr viel schlechtere Welt, sagen sie. Das gleiche gilt auch für eine Welt, in der James Bond tot ist, und vielleicht ist es Boyles Art, das zu sagen.
Ob der Grund für die kreativen Diskrepanzen nun wirklich ultimativ Bonds Überleben war, weiß man bisher natürlich noch nicht sicher. Nach allem, was man bisher gelesen hat, war Boyles Idee auch sehr politisch, was die Produzenten in direkter Form immer vermieden haben. (Man könnte auch sagen, sie verärgern lieber jahrzehntelange Fans als Wladimir Putin.)
Ich hoffe, man erfährt irgendwann mehr über Boyles geplanten Film, der ähnlich wie der dritte Bond von Timothy Dalton wohl zu den legendären nie gedrehten Bondfilmen gehören wird. Auf der Webpräsenz des Künstlers Tim Browning sind immerhin frühe Entwürfe dazu zu finden, die sehr vielversprechend und "bondig" aussehen. Darunter eine Hütte, die wie die einen russischen Bärenjägers aussieht (interessanterweise gab Fukunaga an, das die Verkleidung von Safin ursprünglich wie die eines sibirischen Bärenjägers aus dem 19. Jahrhundert aussah - ein Überbleibsel von Boyles Version?), japanisch wirkende Kulissen, eine Raketenbasis, ein Zug in einer alpinen Gegend und sehr phantasievolle afrikanische Kulissen. Das strahlt wesentlich mehr diese leicht surreale Note aus, die klassische Bondfilme ausmacht, als Fukunagas Film.
Obwohl mir Danny Boyles Entschluss, aus der Produktion von
Bond 25 auszuscheiden, nach Sichtung des Endprodukts wesentlich
sympathischer geworden ist, muss man realistischerweise aber trotzdem
sagen, dass seine Version dadurch nicht automatisch auch gut gewesen wäre.
Boyle bleibt für mich zwar ein geschätzter Regisseur, und ich mag sein
Faible für farbintensive Filme sowie den popkulturell-ikonischen Aspekt
von Britishness mit seinen teils absurden und psychedelischen Ausprägungen (der einem US-Amerikaner wie Cray Fukunaga offensichtlich völlig abgeht). Beides wäre Bond zugute gekommen. Allerdings sehe ich
sein œuvre auch durchwachsen; neben modernen Klassikern wie TRAINSPOTTING, THE BEACH oder SLUMDOG MILLIONAIRE gibt es auch eher seltsame Werke wie A LIFE LESS ORDINARY.
Auch YESTERDAY ist ein Film, der sein Potential nicht völlig ausschöpft. Interessant wäre beispielsweise gewesen, nicht nur zu behaupten, dass eine Welt ohne die Beatles eine schlechtere ist, sondern es auch anhand des zum Negativen veränderten Lebens bestimmter Menschen zu zeigen.
Aber obwohl der Film einen anderen Weg verfolgt als jenen, den Jack Barth ursprünglich realistischererweise vorsah, hat er dennoch auch einen interessanten Subtext zu der Frage, ob die Lebensleistung eines Menschen unabhängig von seinen Wurzeln und seiner ethnischen und geschlechtlichen Identität gesehen werden kann. In der modernen Populärkultur wird das zunehmend nahegelegt - sowohl für historische Persönlichkeiten wie Anne Boleyn oder die Queen als auch für fiktive Figuren, wie etwa John Connor oder eben James Bond. Der Protagonist von YESTERDAY fühlt sich dagegen in seiner Rolle als modern und neu interpretierter Beatle, die ihm eine schöne neue Welt zugedacht hat, zunehmend falsch und fehl am Platz, und er erkennt, dass die Songs ohne ihre Wurzeln in Liverpool, dem Strawberry Field oder der Penny Lane der 50er, nur leere, leblose Kopien bleiben. Eigentlich banal, aber heute fast schon subversiv.
Gut dass Du noch da bist, Martin! Hatte hier eine Weile nicht reingeschaut, weil ich fürchtete, Dein letzter großartiger Beitrag zu NTTD könnte ein finales Fazit gewesen sein.
AntwortenLöschenUnd nun schaffst Du es sogar, mich beinahe mit dem m. E. überaus mäßigen Yesterday zu versöhnen. Doch glaube ich, dass Dein Essay viel spannender ist als der Film selbst, der das wirklich interessante Gedankenspiel einer Kulturgeschichte der letzten sechzig Jahre ohne Beatles einer Romantic Comedy nach Schema F aufopfert. Denn die Frage, wie sich Musik etc. ohne Beatles entwickelt hätten, beantwortet der Film ja mit: „Ganz genauso.“ Und gerade das macht Yesterday für mich eher zu einem Äquivalent zu statt einer Reflexion zu NTTD.
Und: A life less ordinary ist nicht wirklich gut, hat aber durchaus Charme – und einen Titelsong, der so manchen Bond-Song in die Tasche steckt (nicht zuletzt die beiden letzten) …
Es gab hier einen Fehler in der Kommentar-Übermittlung, daher erscheint er erst jetzt und zweimal. :(
LöschenIch muss zugeben, dass ich die Idee, dass Yesterday ein Kommentar zu Boyles verpasster Bond-Regie sein könnte, schon hatte, bevor ich den Film dann sah. Ich wollte den Film mögen, war aber letztlich auch eher enttäuscht. Die Story hat genau diese Angst vor den Konsequenzen der eigenen Grundidee, die so viele Hollywoodfilme auszeichnet. Ganz schlimm auch etwa Downsizing mit Matt Damon. Und ähnlich wie Tenet ist die Hauptrolle auch nach dem Schema 'wir geben uns mulitikulturell und lassen uns von den Kritikern dafür abfeiern' besetzt, bleibt damit aber weit unter den Möglichkeiten.
Gut dass Du noch da bist, Martin! Hatte hier eine Weile nicht reingeschaut, weil ich fürchtete, Dein letzter, großartiger Beitrag zu NTTD könnte ein finales Fazit gewesen sein.
AntwortenLöschenUnd nun schaffst Du es sogar beinahe, mich mit dem m. E. überaus mäßigen Yesterday zu versöhnen. Doch glaube ich, dass Dein Essay viel spannender ist als der Film selbst, der das wirklich interessante Gedankenspiel einer Kulturgeschichte der letzten sechzig Jahre ohne Beatles einer Romantic Comedy nach Schema F aufopfert. Denn die Frage, wie sich die Musik und die ganze (Pop-)Kultur ohne die Beatles entwickelt hätten, beantwortet der Film ja mit: „Ganz genauso.“ Er glaubt, die Beatles zu feiern, marginalisiert sie aber zu einer „weiteren guten Band“. Und gerade das macht Yesterday für mich eher zu einem Äquivalent zu statt einer Reflexion zu NTTD.
Und: A life less ordinary ist nicht wirklich gut, hat aber durchaus Charme – ein Titelsong, der so manchen Bond-Song in die Tasche steckt (nicht zuletzt die beiden letzten) …