Dienstag, 1. Dezember 2020

Bond Noir

Was wäre, wenn man die Bondromane von Ian Fleming zeitnah nach ihrer Veröffentlichung im Stil des Film Noir, auch Schwarze Serie genannt, vorlagengetreu umgesetzt hätte? Auf dieses Gedankenspiel möchte ich hier mal eingehen, vor allem in Bezug auf mögliche Besetzungen. Wirklich ungewöhnlich wäre das gar nicht gewesen, denn Fleming orientierte sich bei seinen Büchern teilweise stark an den Hardboiled-Krimis von Dashiell Hammett, Raymond Chandler oder Mickey Spillane. 


Wie das ungefähr ausgesehen hätte, kann man schon etwas an der TV-Verfilmung von Casino Royale aus dem Jahr 1954 sehen. Mit dem US-Amerikaner Barry Nelson und dem deutschen Emigranten Peter Lorre spielten hier bereits zwei typische Vertreter des Film Noir mit. 


Für die Rolle des James Bond 007 könnte ich mir in so einem Alternivwelt-Szenario den Briten James Mason gut vorstellen, der im britischen Noir-Klassiker ODD MAN OUT  (Ausgestoßen, 1947) von Carol Reed einen IRA-Kämpfer spielte. 30 Jahre später war Mason übrigens ein Favorit für die Rolle des Hugo Drax. 

Falls es ein US-amerikanischer Schauspieler sein sollte, wäre Fred MacMurray (DOUBLE INDEMNITY) eine gute Option.



Ernest Whitman
Le Chiffre ist mit der bereits erwähnten Fernsehverfilmung von Casino Royale mit dem deutschen Schauspiellegende Peter Lorre bereits kongenial besetzt. 

Der Gegenspieler des zweiten Bondromans Leben und sterben lassen von 1954 ist der Unterweltboss Bonaparte Ignace Gallia, alias Mister Big. Mit seinen Schauplätzen in New York und dem amerikanischem Umland wäre das Buch prädestiniert für eine Noir-Verfilmung gewesen. Für die Rolle des Mr. Big, der im Buch ein eher älterer Herr ist, könnte ich mir Ernest Whitman (THE LAST MILE) vorstellen. Eventuell auch Percy Rodriguez oder William Marshal.



Jeff Chandler
Leben und sterben lassen markiert auch den Auftritt von Bonds CIA-Kumpel Felix Leiter, einem strohblonden Texaner mit Adlernase. Hier könnte ich mir den US-Amerikaner Jeff Chandler (JOHNNY O'CLOCK) sehr gut vorstellen. Oder auch Guy Madison. Beide wurden mit Western populär.







Rudolf Fernau als Dr. Crippen
Im dritten Buch Moonraker ist der Schurke der Ex-Nazi und nach einer Gesichtsoperation in den britischen Adelsstand aufgestiegene Sir Hugo Drax, alias Hugo von der Drache, der sich an Großbritannien rächen will. Passend wäre hier wohl ein deutscher Schauspieler gewesen, vielleicht sogar einer, der schon während der 1940er Jahre Filme drehte. Hier wäre Rudolf Fernau eine interessante Wahl gewesen, der 1942 im deutschen Thriller DR. CRIPPEN AN BORD einen Arzt und Mörder verkörperte und später in Edgar-Wallace- und Dr-Mabuse-Verfilmungen mitwirkte. Eine weitere, sehr interessante Option wäre der Brite mit österreichischen Wurzeln Herbert Lom gewesen. 



Das dritte Bondabenteuer Diamantenfieber von 1956 wäre von allen Romanen wohl am meisten für einen klassischen Film Noir geeignet gewesen, mit seinen Schauplätzen New York und Las Vegas. Schurken sind hier die Brüder Jack und Seraffimo Spang, die Bosse des Gangstersyndikats Spangled Mob. Für Seraffimo Spang kämen also all die klassischen Gangster-Darsteller des Film Noir in Frage, wie Edward G. Robinson oder James Cagney. 





Im nächsten Buch Liebesgrüße aus Moskau (1957) sind die Gegenspieler die  KGB-Offizierin Rosa Klebb und der britisch-deutsche Killer Red Grant. Für letzteren wäre Richard Widmark eine interessante Wahl gewesen, der im Noir-Klassiker Der Todeskuß von 1947 eine einprägsame Vorstellung als Tommy Udo lieferte.




Der Gegenspieler in Dr. No von 1958 ist der Deutsch-Chinese Julius No. Die Besetzung mit einem asiatischen Schauspieler wäre zu der Zeit wohl ebenso unwahrscheinlich gewesen wie 1962. Trotzdem möchte ich hier mal den japanischen Schauspieler Sessue Hayakawa ins Spiel bringen, der 1957 in Die Brücke am Kwai den Colonel Saito spielte.







Im Nachfolgeroman Goldfinger ist der Schurke bekanntermaßen der Edelmetallhändler und Smersh-Agent Auric Goldfinger. Ich halte Gert Fröbe in dieser Rolle für die absolute Idealbesetzung, und er hätte die Rolle wohl auch schon 1959 oder 1960 verkörpern können, da er seine berühmte Rolle des Kindermörders in Es geschah am hellichten Tag 1958 spielte. Hier überschneidet sich die Überlegung einer zeitnahen Umsetzung wie bei den beiden Vorgängern fast schon mit der Realität. Eine interessante alternative Besetzung in diesem Sinne wäre aber auch der legendäre britische Schauspieler Charles Laughton gewesen, ebenso wie Walter Slezak (LIFE BOAT) und natürlich der ursprünglich vorgesehene Orson Welles.

Eine interessante Wahl für die Rolle der Pussy Galore fände ich in einem Noir-Setting übrigens die famose Gloria Grahame (THE BIG HEAT, IN A LONELY PLACE).


Ian Flemings achter Fall für James Bond war das Unternehmen Feuerball von 1961, ein überarbeitetes Drehbuch, das erstmals die Verbrecher-Organisation SPECTRE einführte, mit dem Ex-Mafiosi Emilio Largo als Nr. 2 nach Blofeld. Largo ist ebenfalls ein Gangster, der direkt aus einem klassischen Film Noir entstammen könnte. Ein gebürtiger Römer, sehr groß und muskulös, mit olivfarbener Haut und vom Aussehen her an einen Centurio des Römischen Reiches erinnernd. Dafür hätte man bei den italienischen Sandalen- und Monumentalfilmen dieser Zeit ein üppiges Angebot an potentiellen Darstellern finden können. Sehr geeignet wäre beispielsweise der athletische, fast zwei Meter große Georges Marchal (Der Koloß von Rhodos) gewesen, oder auch der Italiener Rik Battaglia, der in zahlreichen Italowestern und Karl-May-Verfilmungen auftrat. 


In Der Spion, der mich liebte gibt es keinen Hauptschurken, nur zwei Kleingangster. Die Geschichte ist aus der Perspektive einer Frau geschrieben und vergleichsweise minimalistisch, was Fleming viel Kritik einbrachte. Für eine Noir-Verfilmung wäre der Roman allerdings gerade deshalb sehr gut geeignet gewesen. Der Schauplatz - ein verlassenes Hotel - erinnert an den Klassiker KEY LARGO von 1948 mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Für die Rolle der Vivienne Michel könnte ich mir beispielsweise die Kanadierin Yvonne De Carlo (CRISS CROSS) vorstellen. 


In Im Geheimdienst Ihrer Majestät von 1963 ist dann erstmals Bonds Erzfeind, der SPECTRE-Boss Ernst Stavro Blofeld der Hauptgegner. Im Buch Feuerball ist er noch als groß und schwer beschrieben, mit stechenden dunklen Augen, inspiriert vom "Duce" Benito Mussolini. Dafür wäre der britische Charakterdarsteller Sydney Greenstreet (Casablanca, Die Spur des Falken) eine gute Wahl gewesen. 


Allerdings ist Blofeld in Im Geheimdienst Ihrer Majestät äußerlich schon stark verändert, schlanker, mit langem, weißen Haar und syphilis-zerfressener Nase. Eine Erscheinung, die tatsächlich an einen Grafen erinnert, und ein bisschen an den deutschen Schauspieler Fritz Rasp (Metropolis, Emil und die Detektive).


Für diese graue Eminenz könnte ich mir aber auch die britische Horror-Ikone Boris Karloff sehr gut vorstellen. Auch im höheren Alter strahlte Karloff (eigentlich William Henry Pratt) etwas sehr sinistres aus. 

Blofeld ist auch der Gegner in Man lebt nur zweimal, wo er in einem Schloss in Japan residiert.








Im finalen Bondroman Der Mann mit dem goldenen Colt von 1965 muss sich James Bond gegen den kubanischen KGB-Killer Francisco "Pistols" Scaramanga beweisen. Hierfür könnte ich mir den US-Amerikaner Brian Donlevy (THE GLASS KEY) vorstellen, oder auch den Mexikaner Ricardo Montálban, der später als Khan in Star Trek berühmt werden sollte. 







Optionen wären auch Vincent Price oder natürlich der auch 1974 in Erwägung gezogene Jack Palance. 


Damit hätte die Bondreihe bereits gegen Ende der 1960er alle Romanvorlagen aufgebraucht, und man hätte sich dann eigene Geschichten anhand der Kurzgeschichten ausdenken müssen. Da der klassische Film Noir mit THE TOUCH OF EVIL 1958 seinen Höhe- und Endpunkt erreichte, wäre das Interesse an Bondfilmen in diesem Stil aber sicher damit ebenfalls erschöpft gewesen. Man kann es insofern nur als Glücksfall sehen, dass die Bücher als aufwendigere A-Produktionen und zeitlich und thematisch relativ abgekoppelt von den Romanvorlagen verfilmt wurden. Auch wenn vorlagengetreue Umsetzungen von Moonraker oder Man lebt nur zweimal durchaus einen großen Reiz gehabt hätten.

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