Oft wird festgestellt, dass James Bond insofern ein Paradoxon sei, dass er auf der einen Seite ein Geheimagent ist, für den eine gewisse Anonymität lebenswichtig ist, er aber auf der anderen Seite offenbar von jedermann und überall erkannt wird. So sagt Roger Moore des öfteren in Interviews:
"Well, I mean, this is a man who is supposed to be a spy. And yet he turns up in bars and hotels around the world, and everyone says, 'Ah, Mr Bond, we've been expecting you.'" [...]
"Everybody knows who he is and what he wants to drink."* Auch im
"Honest Trailer" von S
KYFALL wird der Punkt angesprochen. Aber ist dem wirklich so? Ist Bond als Geheimagent tatsächlich bekannt wie ein bunter Hund?
Im ersten James-Bond-Film D
OCTOR N
O ist Bond bei der Gegenseite noch unbekannt, insofern ist der Film in diesem Punkt realistisch. Er wird auch von niemandem erkannt, mit Ausnahme vielleicht von Felix Leiter, seinem CIA-Kollegen. Im Nachfolger F
ROM R
USSIA W
ITH L
OVE ist Bond dagegen aufgrund seiner Aktivitäten gegen Dr. No bei S.P.E.C.T.R.E. schon bestens bekannt, und man setzt alle Hebel in Bewegung, um ihn zu beseitigen, was innerhalb der Filmwelt realistisch ist.
Im Kampf gegen G
OLDFINGER startet Bond dann wieder bei null, und muss Goldfinger mit Namen vorgestellt werden. Hier erkennt ihn außer seinem Freund Felix niemand auf Anhieb. In T
HUNDERBALL hat Bond dann wieder mit S.P.E.C.T.R.E. zu tun, denen er natürlich mittlerweile ein Begriff ist. So ist es auch nicht unrealistisch, dass Badgirl Fiona Volpe sich über Bonds umwerfende Wirkung auf Frauen auslässt. Nachdem er drei von S.P.E.C.T.R.E.s groß angelegten Verbrechen vereitelte, wird am Anfang von Y
OU O
NLY L
IVE T
WICE Bonds Tod vorgetäuscht, um wieder unerkannt operieren zu können. Trotzdem hätten ihn Helga Brandt un Mr Osato erkennen können. Hier haben wir sogar den umgekehrten Fall, dass der Gegner Bond eigentlich kennen sollte, aber seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Dasselbe in O
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ECRET S
ERVICE. Nachdem sich Bond und Blofeld im vorigen Film Auge in Auge gegenüberstanden, müsste Blofeld ihn hier eigentlich erkennen, tut es jedoch nicht. Auch hier haben wir eher den entgegengesetzten Fall des eingangs genannten Klischees.
In D
IAMONDS A
RE F
OREVER gibt es dann eine von sehr wenigen Szenen, die das Klischee vermutlich begründet haben. Ein wieder wie Sean Connery aussehender Bond tauscht mit dem Diamantenschmuggler Peter Franks die Identität. Nachdem Franks jedoch aus dem Gewahrsam entkommen konnte, kommt es zum Kampf zwischen beiden vor der Wohnung des Schmugglergirls Tiffany Case. Bond steckt unauffällig seine Playboy-Mitgliedskarte in die Tasche des toten Franks. Tiffany findet sie und ruft:
"Sie haben James Bond umgebracht!" Mal ganz abgesehen davon, dass das ein ironischer Gag in einem sehr ironischen Film ist, ist auch Tiffany Teil einer S.P.E.C.T.R.E.-Operation, und es könnte gut sein, dass Bond bereits in diversen Unterweltkreisen bekannt ist.
Von L
IVE A
ND L
ET D
IE an hat James Bond nun wieder mit Gangstern zu tun, mit denen er zuvor noch nie aneinandergeraten war, und die seinen Namen meistens zum ersten Mal hören. Mit Ausnahme von Beißer, der Bond allerdings eh nie formal begrüßt, Alec Trevelyan und General Ourumov in G
OLDENE
YE sowie Colonel Moon aka Gustav Graves in D
IE A
NOTHER D
AY. In T
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OLDEN G
UN kennen ebenfalls die meisten handelnden Personen Bond bereits, wobei Scaramanga und der Waffenhersteller Lazar sich berufsbedingt sehr gut im Bereich der Profi-Scharfschützen und Killer auskennen. Christopher Lee hat die Rolle zudem als ehemaligen Abwehr-Offizier angelegt.
Dass Bond beim KGB bestens bekannt ist, inklusive Details wie Trinkgewohnheiten, dürfte auch nicht verwundern. So kennt Major Anya Amasova Bonds Lieblingsdrink in T
HE S
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OVED M
E (er allerdings auch ihren). Auch Georgi Koskov kennt Bond als besten Scharfschützen des MI6 in T
HE L
IVING D
AYLIGHTS, ebenso Valentin Zukovski in G
OLDENE
YE. Der letzte Gegenspieler, der bereits das meiste über Bond zu wissen scheint, ist Raoul Silva in S
KYFALL, was aber durch dessen Identität als ehemaliger Agent und Hacker plausibel ist.
Und dann gibt es natürlich noch diverse Rezeptionisten oder Kellner in Restaurants und Hotels auf der ganzen Welt. Beispielsweise in Wien in T
HE L
IVING D
AYLIGHTS oder in Hongkong in D
IE A
NOTHER D
AY. In letzterem wird Bond sogar mit Vollbart und im Pyjama erkannt. Aber die wenigsten von ihnen wissen wohl, dass Bond ein Geheimagent ist. James Bond ist auch nicht gerade ein seltener Name. Wer es wirklich auf Bond abgesehen hat, wird wohl eher nicht auf die Hilfe eines Concierge angewiesen sein.
Unter dem Strich bleibt nur die Szene mit Tiffany Case in D
IAMONDS A
RE F
OREVER, in der Bond bekannter zu sein scheint, als es sein Beruf eigentlich zulassen sollte. Zum größten Teil stimmt das Klischee also nicht.
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* Siehe beispielsweise hier