Freitag, 9. November 2012

Berlin Escape

Die Schauplätze der Kurzgeschichte "The Living Daylights" in Berlin


In den Abendstunden des 9. November 1989 wurden die Grenzübergänge in Berlin geöffnet, und die Mauer fiel praktisch über Nacht. Obwohl die Berliner Mauer das Symbol für den Kalten Krieg schlechthin war, spielte sie als Bondschauplatz nur eine Nebenrolle. Im Film war sie erst 1983 kurz in OCTOPUSSY zu sehen (siehe hier). Auch den literarischen Ur-Bond verschlug es nur in einer Kurzgeschichte hierher, nachdem für Ian Flemings James Bond die unsichtbare Front des Kalten Krieges hauptsächlich entlang exotischer Gefilde wie Jamaika, Istanbul oder Japan verlief.





In der Kurzgeschichte „The Living Daylights“ (deutsch: „Duell mit doppeltem Einsatz“), die unter dem Titel „Berlin Escape“ 1962 in The Sunday Times veröffentlicht wurde, wird 007 mit einem klaren Tötungsauftrag in die geteilte Stadt geschickt. Ein Agent mit der Nummer 272 will mit geheimen Unterlagen ("atomic and rockets") aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen überlaufen. Der KGB hat jedoch Wind davon bekommen, wo und wann die Flucht ungefähr stattfinden soll, und entsendet einen Scharfschützen mit dem Auftrag, 272 beim Grenzübergang zu erschießen. Bond soll nun wiederum den Scharfschützen eliminieren, bevor der 272 erwischt. Während der nächtlichen Observationen verguckt sich Bond in eine blonde Cellistin, die sich schließlich jedoch als Scharfschützin, und damit als Bonds potentielles Opfer entpuppt.

Die Kurzgeschichte verrät mehr über James Bonds Charakter als so mancher Roman. Sie spielt im Oktober 1959, nach den Ereignissen des Romans "Thunderball" ("Aktion Feuerball"), wo Bond nach seinen Eskapaden in Bars und Casinos in eine Gesundheistsklinik geschickt wird und zum ersten Mal seinen neuen Feind SPECTRE trifft. Bond ist hier Ende Dreißig und äußert eine gewisse Berufsmüdigkeit. Zumindest nennt er es Glück, sollte ihm seine Doppelnull-Lizenz entzogen werden.

Zum anderen kommt hier Bonds „fatale Schwäche“ sehr gut zum Ausdruck, auf die man später in den Filmen oft zurückkam. THE WORLD IS NOTENOUGH (Die Welt ist nicht genug, 1999) hat beispielsweise einen ähnlichen Ansatz: Eine Frau, für die Bond etwas empfindet, gerät ins Visier seiner Lizenz zum Töten. Leider wird der Film THE LIVING DAYLIGHTS von 1987 der Femme Fatale aus der Kurzgeschichte nur ansatzweise gerecht, denn hier entpuppt sich die vermeintliche Auftragsmörderin sehr schnell als naiv und ungefährlich.

Photography by Eric Auerbach
Für die Figur der anmutigen, goldhaarigen Cellistin, die in der Geschichte nur „Trigger“ genannt wird, ließ sich Fleming übrigens von seiner jüngeren Halbschwester Amaryllis Fleming inspirieren, einer berühmten Cellistin, und verewigte sie im Text auch als „that girl Amaryllis somebody“.

Der Schauplatz der Geschichte heute
Schauplatz der Geschichte ist ein Mietshaus an der Ecke Kochstraße / Wilhelmstraße, das einsam in der zerbombten Grenzlandschaft steht. Ihm gegenüber im sowjetischen Sektor befindet sich das Haus der Ministerien, von dem aus „Trigger“ operiert. Nur eine Straßenecke weiter ist der offizielle Grenzübergang, der später als „Checkpoint Charly“ berühmt-berüchtigt werden sollte, und an dem sich am 27. Oktober 1961 amerikanische und russische Panzer gegenüberstanden. Interessanterweise war der Auslöser für die Berlin-Krise die Kontrolle eines US-Diplomaten, der in Ost-Berlin die Oper besuchen wollte. Die direkte Inspiration für "The Living Daylights" lieferte jedoch höchstwahrscheinlich die Flucht des Offiziers Patrick Reid aus einem Gefangenenlager im Schloß Colditz in Sachsen. Die Flüchtenden mussten zwei Wachtposten passieren, und ein Orchester sollte ihre Geräusche übertönen. Mit dem Dirigenten des Orchesters, Douglas Bader, spielte Fleming später Golf.

Molle mit Korn statt Wodka Martini

Um in Berlin die Zeit bis zum nächtlichen Einsatz totzuschlagen, fährt Bond zum Kurfürstendamm und trinkt dort einen doppelten Espresso im Café Marquardt. Das Café gehört zum Hotel Kempinsky, in dem Fleming während seiner Thrilling-Cities-Tour nächtigte, und heißt heute Reinhard's.

Doppelter Espresso im Café Marquardt, heute Reinhard's
Von Berlin selbst hatte Fleming übrigens keine besonders hohe Meinung. Wie er in "Thrilling Cities" schreibt, verband er vor allem die "düsteren Haupstadt" und das Ruhrgebiet mit den negativen Seiten Deutschlands und den beiden Kriegen, in denen sein Vater und sein jüngerer Bruder starben. Auch auf Bond wirkt Berlin dementsprechend düster und ungemütlich.

Auf dem Ku'damm überlegt Bond, entweder ein Freudenhaus in der Clausewitzstraße (quasi direkt um die Ecke) zu besuchen oder durch den Grunewald zu spazieren. Die Moral siegt, und Bond genehmigt sich eine Portion Matjeshering und Molle mit Korn.

Interessanterweise war Bond in OCTOPUSSY an sehr ähnlichen Schauplätzen. Er fährt den Kurfürstendamm entlang und passiert den Checkpoint Charlie. Später wurde auch an der Autobahnabfahrt Hüttenweg in der Nähe des Wannsees gedreht.




Cellospiel hinter dem Eisernen Vorhang
Eckhaus Kochstraße/Wilhelmstraße durch eine Lücke in der Mauer

Das Eckhaus Kochstraße/Wilhelmstraße wich in den 1980er Jahren einem Gebäudekomplex des italienischen Architekten Aldo Rossi. Das Niemandsland an der Mauer auf der Westseite diente jahrelang als sogenanntes Autodrom, man durfte hier ohne Führerschein fahren. Heute befndet sich dort ein kleiner Park, in dem überwuchert immer noch die Überreste des Gestapo-Hauptquartiers schlummern, sowie eine Anlage der "Topographie des Terrors" mit einem Überrest der Original-Mauer und Schautafeln zur deutschen Geschichte. 


Am Ende kommen Touristen:
ehemaliges "Haus der Ministerien"
mit Mauer und Topographie des Terrors
Das "Haus der Ministerien", das sich auf der Ostseite gegenüber befindet, und von dem aus "Trigger" operiert, existiert dagegen heute noch. Ursprünglich Ende der 1930er Jahre als Reichsluftfahrtministerium erbaut, überstand es ironischerweise die Bombardierung Berlins. Zu DDR-Zeiten wurde es in Haus der Ministerien umbenannt und diente bis zum Bau des Palastes der Republik als Regierungssitz. Hier äußerte Ulbricht eine der berühmtesten Lügen der Geschichte, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen.

Das Gebäude in "Operation Walküre"
Quelle: berlin.de
Nach der Wende wurde das monumentale Gebäude in Detlev-Rohwedder-Haus benannt, und dient heute als Sitz des Bundesfinanzministeriums. Interessanterweise besitzt der Gebäudekomplex tatsächlich einen Konzertsaal, insofern ist die Kurzgeschichte durchaus realistisch. Wäre in Berlin nicht bereits für OCTOPUSSY gedreht worden, hätte man THE LIVING DAYLIGHTS also an den Originalschauplätzen der Kurzgeschichte drehen können. Aber nur theoretisch, denn 1987 war eine Flucht an dieser Stelle ungleich schwieriger. Trotzdem kam das Gebäude noch zu Kino-Ehren: Für die Filme "Mein Führer" und „Operation Walküre“ mit Tom Cruise wurde es 2006 und 2007 noch einmal in das Reichsluftfahrtministerium zurückverwandelt. 

Links im Bild: Beleuchtete Fenster im heutigen Finanzministerium. Eines davon nahm Bond ins Visier und erschreckte "Trigger" zu Tode ("scared the living daylights out of her").

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