Sonntag, 17. Juni 2012

Agent Provocateur - Wieviel Fleming ist in SKYFALL?

Der nachfolgende Text ist größtenteils Spekulation anhand dessen, was bisher an Bild- und Filmmaterial sowie Interviews zum neuen James-Bond-Film veröffentlicht wurde, könnte dadurch aber auch massive Spoiler zur Filmhandlung enthalten. Wer sich diverse Überraschungen im Kino erhalten möchte, sollte es sich deshalb überlegen, weiterzulesen. (Und da ich selbst trotz aller guten Vorsätze immer alle Spoiler lese, meine ich das wirklich ernst ;)





Vor allem seit der Verhör-Szene im Trailer gibt es in Foren die Vermutung, dass in SKYFALL bestimmte Handlungselemente aus den Fleming-Romanen You Only Live Twice (in deutsch "Du lebst nur zweimal") und The Man With The Golden Gun ("James Bond 007 und der goldene Colt" bzw. "Der Mann mit dem goldenen Colt") Verwendung finden. Daniel Craig und Regisseur Sam Mendes haben selbst in verschiedenen Interviews gesagt, dass sie die unfreiwillige Verzögerung durch die MGM-Krise dazu genutzt hätten, alle Flemingbücher erneut zu lesen und sich davon inspirieren zu lassen. Nach 23 Filmen ist mittlerweile nicht mehr all zu viel Originalmaterial des Autors übrig.

In You Only Live Twice ermittelt Bond mehr oder weniger durch Zufall den Aufenthaltsort seines Erzfeinds Ernst Stavro Blofeld in Japan. Im Roman davor - On Her Majestys Secret Service ("Im Dienst Ihrer Majestät") - war es Blofeld gelungen, Bonds frisch angetraute Frau Tracy zu ermorden, weshalb Bond zu Beginn von You Only Live Twice in einem derangierten Zustand ist und sich gehen lässt. Er ist unrasiert, trinkt noch mehr als eh schon, erscheint zu spät zur Arbeit und versemmelt seine Aufträge. Um ihm noch eine Chance zu geben, schickt ihn M in einer diplomatischen Mission nach Japan, die alle seine Sinne und Fähigkeiten fordern soll. In einer ebenso bizarren wie tödlichen Umgebung kommt es schlussendlich zum Showdown zwischen Bond und Blofeld. Danach kann Bond zwar entkommen, stürzt jedoch aus großer Höhe ins Meer. Er wird von einer Frau gerettet und hat sein Gedächtnis verloren. Da das einzige Wort, an das er sich erinnern kann, 'Wladiwostok' ist, begibt er auf die Reise dorthin. Unterdessen hält der MI6 Bond für tot, und M lässt einen Nachruf in der Times veröffentlichen.

In The Man With The Golden Gun ist Bond zurück in England. Jedoch wurde ihm in der Sowjetunion eine Gehirnwäsche verpasst und er verübt ein Attentat auf M, das nur haarscharf vereitelt werden kann. Ähnlich wie in You Only Live Twice steht M nun wieder vor der Entscheidung, entweder Bond zu feuern oder ihm eine letzte Chance zu geben. Er setzt Bond auf den berüchtigten Killer Francisco Scaramango an, der im karibischen Raum sein Unwesen treibt. Ein gezeichneter Bond Mitte Vierzig, der zunehmend mit dem Handwerk des Tötens hadert, trifft hier zum ersten Mal auf einen jüngeren Gegenspieler.

Was spricht nun dafür, dass diese Handlungselemente um einen Bond, der zu Beginn in schlechtem Zustand ist, zum Teil sein Gedächtnis verloren hat, und vielleicht sogar vom Feind 'umgedreht' und auf M angesetzt wurde, endlich für den Filmbond genutzt werden? Zum einen das bereits erwähnte Verhör im Trailer, scheinbar mit einem Psychologen, unter Aufsicht von M, Tanner und dem von Ralph Fiennes dargestellten Regierungsagenten Gareth Mallory (vielleicht handelt es sich bei dem Psychologen ja sogar um den in mehreren Romanen erwähnten Neurologen und Nobelpreisträger Sir James Molony, der damit seinen ersten Filmauftritt hätte).

Zu den Szenen in Shanghai und Macao hieß es in verschiedenen Set-Berichten in Zeitschriften, dass Bond "must appear as a character back from the dead". Ein Journalist schrieb das Casino-Set "looks like a kingdom of the dead". (siehe hier, Spoilerwarnung!) Produktionsdesigner Dennis Gassner sagte zudem zu der Casinosequenz: "Bond is back from the dead. This whole film is about illusion." Bond muss demnach in der Vortitelsequenz etwas zustoßen, nachdem er für tot gehalten wird.



Die Vortitelsequenz spielt in Istanbul und beinhaltet eine Motorradjagd zwischen Bond und dem Schurken Patrice (Ola Rapace) über die Dächer der Stadt und dann über eine Brücke auf einen Zug, der schließlich das 98 Meter hohe Varda-Viadukt passiert. Fällt Bond von dieser Brücke ins Wasser, und ist das der Sturz, den man im Trailer kurz sieht? (wie auch commanderbond.net spekuliert) Verliert er dabei auch scheinbar oder tatsächlich sein Gedächtnis? Und schließlich: Nutzt jemand diesen Gedächtnisverlust, um Bond irgendwie neu zu 'programmieren'?

Ein Wort-Assoziationsspiel wäre zumindest eine geeignete Möglichkeit, mögliche trigger-words bei einem umgedrehten Agenten herauszufinden. Außerdem wirkt Bond während des Verhörs nicht wirklich motiviert, ist unrasiert und trägt unpassende Kleidung. Auf anderen Fotos trägt Bond Hochwasserhosen (die allerdings auch außerhalb des Bildausschnitts im Film sein könnten). Die Joggingszene sowie der Schießstand im Trailer lassen zudem vermuten, dass Bond wieder in Form kommen muss.


Wenn man sich den Schießstand näher ansieht, bemerkt man, dass Bond nicht wirklich gut getroffen hat. In der Szene zuvor sieht man Bond in einer Art Umkleide- oder Waschraum, scheinbar Finger- und Handübungen machend. Es ist nicht klar, ob beide Szenen zusammengehören, aber die Location insgesamt könnte zu MI6-Büros in einer stillgelegten U-Bahnstation gehören (die bereits in einem Videoblog zum Production Design zu sehen war). Wenn Bond also nicht treffen kann und danach angestrengt Fingerübungen macht - könnte das mit einer Gehirnwäsche zusammenhängen? In entsprechenden Agentenfilmen sieht man meist, wie "mandschurische Kandidaten" zu Killern wider Wissen gemacht werden. Ob auch das Gegenteil möglich ist - einen Killer seiner Fähigkeiten zu berauben - wäre eine spannende Frage. Es würde Bond zumindest eine gewisse Verletzlichkeit, eine Achilles-Ferse geben, ähnlich der Höhenangst des Protagonisten in Vertigo, der zu Mendes´ erklärten Lieblingsfilmen gehört.

vom Blog Illustrated007
Im Roman The Man With The Golden Gun kämpft Bond ebenfalls mit einer gewissen "Schießmüdigkeit" und lässt zwei Gelegenheiten verstreichen, Scaramanga zu töten. Filmbösewicht Raoul Silva hat durch Javier Bardem im übrigen wie Francisco Scaramanga spanische Wurzeln und bereits mehrere MI6-Agenten auf dem Gewissen. Im Finale des Romans sieht sich ein angeschlagener und müder Bond im jamaikanischen Hinterland Scaramanga gegenüber. Falls Bond Silva in der Umgebung der Skyfall Lodge zur Strecke bringt, könnte es zu einer ähnlichen Szene kommen.

Warum fährt Bond zusammen mit M dann nach Schottland, offenbar zum Familiensitz von Bonds Vorfahren, Skyfall Lodge genannt? Eine Antwort könnte sein, dass der Fehler in Ms Vergangenheit, der sie einholt und Bonds Loyalität auf die Probe stellt, auch mit Bonds Vergangenheit zusammenhängt. Vielleicht mit dem Tod seiner Eltern. Laut dem Nachruf im Roman You Only Live Twice starben sie bei einem Absturz während einer Klettertour in den Bergen. In GoldenEye wurde das erstmals in einem Film erwähnt. Eigentlich lag es schon immer nahe, diesen scheinbaren Unfalltod von Bonds Eltern zu thematisieren, und vielleicht hat Jeffery Deaver das in seinem Bondroman Carte Blanche vorweggenommen. (Interessant wäre auch, ob die ebenfalls in GoldenEye erwähnte Vorliebe von Judi Denchs M für Zahlen und Statistiken an diesen Fehler in der Vergangenheit mitschuld war. Obwohl wir uns seit Casino Royale in einem rebooteten Universum befinden, wäre das eine nette Referenz.)

Eine andere  interessante Spekulation bietet der Blog Dr. Shatterhands Oddblog, wonach Bond und M zum Sitz von Bonds Vorfahren reisen, um Bonds verlorene Erinnerung - und seine alten Fähigkeiten? - wieder zu gewinnen. Ähnlich wie Bond im Roman nach Wladiwostok reist, nur weil er sich an das Wort erinnern kann. Da sie mit Bonds Privatwagen unterwegs sind, sind beide vielleicht schon von einem manipuliertem MI6 suspendiert und müssen sich auf eigene Faust um Schutz und Aufklärung bemühen.

Vielleicht gibt es ja in SKYFALL tatsächlich Referenzen an die Romane You Only Live Twice und The Man With The Golden Gun. Immerhin kehrt Bond nach 45 Jahren wieder nach Japan zurück, wenn auch nur auf der im Studio nachgebauten Geisterinsel Hashima. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. Gegen eine Verwendung des Gehirnwäsche-Plots spricht hauptsächlich, dass diese Thematik vor allem in den Bourne-Filmen ausgiebig thematisiert wurde. Und da schon Quantum of Solace wegen des hektischen Schnitts der Vorwurf gemacht wurde, sich an Bourne zu orientieren, dürfte eine Art "Bond-Identität" vielleicht nicht gerade ratsam sein - obwohl Flemings Romane Jahrzehnte vor dem von Robert Ludlum geschrieben wurde. Außerdem war Bond bereits im letzten Film in einer Art psychischem Ausnahmezustand. Spätestens Ende November werden sich endlich die vielen Konjunktive in Indikative verwandeln... :)

4 Kommentare:

  1. Ich fände es begrüßenswert wenn das Thema „Gedächtnisverlust“ oder „Gehirnwäsche“ bei Bond in „Skyfall“ – falls es im Film Bestand habe sollte – in der Machart von Alfred Hitchcock abgehandelt würde.
    So wäre eine private Flucht mit seiner Chefin M in Stile von „The 39 steps“, in der Bonds häusliches Anwesen seiner Vorväter in Schottland nicht nur als Erinnerungsmatrix für einen paralysierten Agenten fungieren sollte, sondern das Drehbuch noch einen zusätzliche einfallsreiche Idee bereithält, die der Zuschauer als wirklich intelligenten Clou empfindet, welche der Story dann einen wirklichen Tiefgang geben würde. Was das auch immer wäre – es müsste jedenfalls richtig kicken!

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  2. Die Erwartungen sind bei mir auf jeden Fall auch sehr hoch, nachdem das Drehbuch von allen Parteien in zig Interviews über die Maßen gelobt wurde. Während für den Normalzuschauer ein paralysierter oder gar umgedrehter Bond wahrscheinlich schon Sensation genug wäre, erwartet man als Bondfan da dann doch noch das eine oder andere Schmankerl.

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  3. ich habe mich nie wirklich mit james bond beschäftigt,habe mir aber den film angesehen ohne vorkentnisse der bücher und filme.
    ich muss sagen die aktion-szenen sind sensationell realisirt worden.
    dennoch gefällt mir die, meiner meinung nach, sehr an unsere politische lage erinnernden dialog, in der szene bei der gerichtsverhandlung, überhaupt nicht.
    M. bonds chefin rechtfertigt ihr handeln in dem sie sagt das nicht nationen eine bedrohung sei sindern individuen und damit geheimdienste als unverzichtbare notwendigkeit für die nationale sicherheit sieht.
    als geschichte ist der film klasse.
    dennoch beführste ich das solche dialoge kein zufall sind und den menschen eine schleichende botschaft mitgegeben werden soll.

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  4. Hallo Yassi,

    Danke für den Kommentar! In dem Punkt fand ich den Film auch etwas vage. Innerhalb des Film-Bond-Universums macht Ms Rede ja absolut Sinn, Agenten wie Bond werden gebraucht, auch wenn der Kalte Krieg vorbei ist. Aber durch den realistischeren Ansatz der Craig-Filme kriegen solche Dialoge leider einen streitbaren politischen Beigeschmack. Das sehe ich auch ein bisschen als Gefahr bei Bond, denn im Kern ist er ein vom Staat lizensierter und gehorsamer Killer. Je realer man ihn ansiedelt, umso unsympathischer könnte er in der heutigen Welt werden. Bei Bourne Geheimdienste und Regierungen Regierung sehr zwielichtig und korrupt, deswegen kämpft er auch allein. Bei Bond muss der Geheimdienst als Institution immer ein bisschen ein Hort des Guten sein, denn dann hätte Bond entweder ein Jobproblem oder wäre Teil dieses korrupten Systems. Sowas ist allerdings heutzutage schwierig zu verkaufen, wenn man es zu ernst nimmt.

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