Auch der Mittelteil von Alan J. Pakulas sogenannter Paranoia-Trilogie - THE PARALLAX VIEW (Zeuge einer Verschwörung, 1974) - ist deutlich von dem tiefen Misstrauen gegenüber Politik und Wirtschaft gekennzeichnet. Als ich diesen Film vor kurzem wieder sah, fielen mir einige Parallelen zum 2008er Bondfilm QUANTUM OF SOLACE auf, der in diesem Jahr eine Dekade hinter sich gebracht hat. Nicht nur zu diesem Film speziell, sondern auch allgemein zu der gesamten Ära des politischen Paranoia-Kinos der 1970er.
Was mich an Filmen aus den 1970er Jahren immer wieder begeistert, ist ihre formale Verspieltheit. Die Offenheit gegenüber neuen visuellen Erzählformen versprüht eine kreative Aufbruchstimmung, die häufig in Kontrast zu der als hoffnungslos verdorben dargestellten Welt steht. Der filmische Blick ist so innovativ und mutig wie der philosophische Blick desillusioniert und müde ist. Neuer Wein in alten Schläuchen sozusagen, der auf der Leinwand spektakulär barst.
So wirken selbst Filme mit einer eher unausgegorenen Geschichte allein durch ihre visuelle Präsentation aufregend und spannend. Bei THE PARALLAX VIEW ist das der Fall. Ein Autorenstreik der Writers Guild of America überschattete die Produktion und führte dazu, dass man ohne fertiges Drehbuch in die Dreharbeiten startete. Da Warren Beatty nur einen begrenzten Zeitrahmen hatte und so oder so bezahlt werden musste, hatte man keine andere Wahl. Beatty selbst soll zusammen mit Autor Robert Towne (CHINATOWN) während der Dreharbeiten an der Story geschrieben haben.
Drehort Bregenzer Festspielhaus mit Seebühne |
Wie Forster in Interviews oft betonte, orientierte er sich für seine Sicht auf James Bond an den Politthrillern der 1970er Jahre, und das auch aus der Not heraus. Er meinte, wenn der Streik nicht rechtzeitig aufhöre, „mache ich einfach einen Rachefilm im 70er-Jahre-Stil, sehr von der Action getrieben und viele Schnitte, um zu verschleiern, dass es viel Action und wenig Story gibt.“ Mit seinem Kameramann Roberto Schaefer erarbeitete er dann das visuelle Konzept des Films, das sich an Klassiker wie THE THREE DAYS OF THE CONDOR (Die drei Tage des Condor, 1975) oder FRENCH CONNECTION (Brennpunkt Brooklyn, 1971) anlehnen sollte.
Die Rückbesinnung auf die Politthriller dieser Ära war seit Spielbergs MUNICH (München, 2005) oder SYRIANA (ebenfalls 2005) allerdings auch ein Zeitgeist-Phänomen. Tom Tykwer orientierte sich für seinen Bankenthriller THE INTERNATIONAL aus dem Jahr 2009 ebenfalls an den bekannten Klassikern.
Wie bei THE PARALLAX VIEW und ähnlichen Filmen führte das Fehlen einer ausgearbeiteten Story hier zu einem recht freien Assoziieren mit filmischen Mitteln, das einen sehr eigenen Reiz entwickelt. Wobei das wohl eher subjektiv ist, denn bei vielen Bondfans hat der Film einen schweren Stand. Ich finde einige Sequenzen in QUANTUM absolut brillant und immer wieder mitreißend, allen voran natürlich die eröffnende Autojagd und die Tosca-Szenen. Mit den faszinierenden visuellen Ideen des Films hatte ich mich in diesem Beitrag schon einmal beschäftigt, den ich an dieser Stelle gern noch einmal bewerbe.
Beide Filme handeln von einer sinistren und schwer greifbaren Organisation, die jeweils nach physikalischen Begriffen benannt ist, und auf die bereits der Filmtitel anspielt: Die Parallax Corporation und der Geheimbund Quantum. Während die Parallaxe das optische Phänomen beschreibt, dass sich ein Objekt der Beobachtung von einer verschobenen Perspektive aus scheinbar ebenfalls verschiebt, gibt es in der Quantenphysik das Phänomen der Unschärferelation, laut dem sich das Verhalten des Beobachters unvermeidbar auf das beobachtete Objekt auswirkt. Beide Phänomene stellen den klassischen Filmblick des praktisch gottgleichen Beobachters in Frage, was sich in den Filmen auch in Fotografie und Schnitt wiederspiegelt.
THE PARALLAX VIEW spielt beispielsweise mit ungewöhnlich kadrierten Bildern, die dem Zuschauer den Überblick, den establishing shot, verweigern. In QUANTUM OF SOLACE wird dieser Überblick durch den stakkato-artigen Schnitt ebenfalls verweigert. Dieser experimentelle Schnitt wurde und wird immer wieder kritisiert. Zum einen, weil er nicht wirklich innovativ ist, sondern recht deutlich vom zweiten Bourne-Film THE BOURNE SUPREMACY (2004) inspiriert ist, der dafür einen Oscar bekam. Zum anderen, weil er bei in camera ausgeführten Stunts und Actionszenen eigentlich völlig kontraproduktiv ist.
Auch bei anderen Klassikern des New Hollywood führten Schwierigkeiten in der Produktion zu kreativen Improvisationen. Bei Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION (Der Dialog, 1974) kam es zu Verzögerungen, weil der Kameramann sich nicht mehr in der Lage sah, Coppolas Intentionen für die Eröffnungssequenz umzusetzen. Auch Hauptdarsteller Gene Hackman haderte zunehmend mit seiner Rolle, die emotional sehr zurückgenommen ist. Budget und Drehzeit wurden überzogen, die Postproduktion zog sich hin und der Film wurde mehrmals drastisch umgeschnitten. Trotzdem gilt der Film vielen Kritikern als Coppolas Bester, und auch Coppola selbst tendiert dazu.
Eine große Rolle spielt im Paranoia-Kino des New Hollywood auch die Architektur. Städte erscheinen als unübersichtliche Labyrinthe, in denen Menschen isoliert sind - oft dargestellt durch lange Zooms in Stadtansichten hinein, wie in THE CONVERSATION oder DIRTY HARRY, sowie auch der Blick von oben auf ein ameisenartiges Gewimmel von Menschen. Mit dieser Sicht auf urbane Landschaften als eigentlich menschenfeindliche Labyrinthe verweisen die Paranoia-Thriller deutlich auf den Film Noir.
Häufig wird moderne Architektur als Schauplatz gewählt, deren Kälte und Abstraktheit die Protagonisten wie auf Beton geworfene Fische wirken lässt.
Das Thema der künstlichen Wasserverknappung erinnert an einen der New-Hollywood-Meisterwerke schlechthin - Roman Polanskis CHINATOWN. Auch in THE PARALLAX VIEW gibt es einen Mordanschlag auf den Protagonisten durch einen sich öffnenden Staudamm, der auch gut in einen Bondfilm gepasst hätte. Themen wie Rohstoffverknappung und Umweltzerstörung wurden auch allgemein verstärkt thematisiert, wie in SOYLENT GREEN (1973), SILENT RUNNING (1972) oder THE CHINA SYNDROME (1979).
Die Qualitäten von QUANTUM OF SOLACE sind natürlich nur sehr subjektiv zu bewerten, und der Vergleich mit den genannten Filmklassikern wird sicher auch auf Ablehnung stoßen. Für mich persönlich schafft Regisseur Mark Forster es größtenteils tatsächlich, durch einen experimentellen visuellen Stil aus einer unausgereiften Geschichte einen sehr sehenswerten Film zu gestalten - wesentlich besser als beispielsweise Sam Mendes bei SPECTRE - wie das sehr oft auch Filme der 1970er schafften. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist für mich neben den Genannten auch Dario Argentos Regie-Debüt L'UCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, 1970), wo etwa ein zur Startbahn rollendes Flugzeug wie in einer Art Tanz geschnitten ist.
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