In den Fünfziger und Sechziger Jahren waren speziell animierte Einleitungssequenzen mit entsprechenden Liedern noch ein selbstverständlicher Bestandteil von Filmen. Sie informierten nicht nur über Filmtitel und Darsteller, sondern bereiteten die Zuschauer auch auf Thema und Stimmung des Filmes vor. Sofern die Zuschauer schon im Lichtspieltheater ihrer Wahl Platz genommen hatten. Falls nicht lieferte die Titelsequenz immerhin das gute Gefühl, noch nicht viel vom eigentlich Film verpasst zu haben, und die genervt zum Platz machen gezwungenen Mit-Zuschauer ebenfalls nicht. Eine Aufgabe, die heute die 45-minütige Werbung inne hat.
Mit der in medias res beginnenden Action seit FROM RUSSIA WITH LOVE (1963) verschob die Titelsequenz ihre Bedeutung von der plätschernden Einführung hin zur meditativen Verschnaufpause - wer bei den Bondfilmen zu spät im Kino erscheint hat einfach mal Pech gehabt und das Beste verpasst. Im zwischenzeitlich vergangenen halben Jahrhundert wurde sie immer mehr zu Selbstzweck und Selbstreferenz. Mit SPECTRE (2015) scheint sie jedoch eine - zumindest für die Bondfilme - neue dramaturgische Funktion erhalten zu haben.
Bei Franchises in der Größenordnung der Bondfilme wird ein neuer Film nicht nur während der unmittelbaren Dreharbeiten inszeniert - Die eigentliche Inszenierung beginnt eigentlich schon mit der Einblendung "James Bond will return" am Ende des letzten Films. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und sie endet noch lange nicht nach dem Abspann des entsprechenden Films im Kino.
Die Lancierung von offiziellen Neuigkeiten wie Titel und Thema, der offizielle Titelsong, das Musikvideo zum Titelsong, die Ankündigung des Tesers - all das gehört zum großen Spiel, bei dem das Internet und die Boulevardpresse die eher geduldeten als geliebten Partner sind. Beide werden dabei eher als Last empfunden, da sie dazu tendieren, sich nicht an die Spielregeln zu halten und mehr Informationen zu veröffentlichen als sie sollten. "Das Internet ist eine Pest", meinte Christoph Waltz beispielsweise in einem Interview.
Aber muss es immer eine Pest sein? Kann man diese große Inszenierung vor dem Film nicht auch für die Inszenierung des Films an sich nutzen? Die Aufgabe von Drehbuchautor und Regisseur ist es unter anderem, dem Publikum möglichst unauffällig alle Informationen zu verkaufen, das es braucht, damit das Ende funktioniert. Bei SPECTRE war es beispielsweise notwendig, dass dem Zuschauer im dritten Akt klar ist, dass die Beziehung zwischen Bond und Madeleine etwas besonderes ist. Etwas, was über die üblichen Bond-Girl-Liebeleien hinaus geht.
Das Drehbuch hat allerdings gerade in dem Punkt ein gravierendes Problem. Madeleine taucht erst so ziemlich in der Mitte der Geschichte auf - eigentlich viel zu spät, um eine ernsthafte zwischenmenschliche Beziehung zu etablieren, die die Leben der beiden wirklich einschneidend verändern kann. (Tracy wird im Vergleich dazu bereits in der Vortitelsequenz eingeführt, Vesper immerhin im zweiten Drittel, dafür aber mit mehreren intensiven Dialogen.)
Warum also nicht die virtuelle Informationswolke, die mittlerweile jeden Film lange vor seinem Kinostart umgibt, konstruktiv nutzen, anstatt sie zu verfluchen? Wenn die Zuschauer vor dem Film eh schon mehr wissen, als sie sollten - warum dann innerhalb der Filmhandlung bei Null anfangen? Die offizielle Synopsis zum Film, die in jedem Online-Kinoprogramm zu lesen war, beinhaltete beispielsweise bereits einen tieferen psychologischen Grund für die Liebe zwischen Madeleine und Bond: Als Tochter eines Berufskillers versteht sie ihn mehr als die meisten anderen Frauen. Das ist eigentlich eine Information, die klassischerweise der Film an sich durch entsprechende Szenen und Dialoge irgendwie vermitteln sollte.
In ähnlich gezielter Weise nutzt Mendes den Titelsong, der bereits Wochen vor dem Film veröffentlicht wird und durch Stimmung und Text Informationen und Stimmungen vermittelt - Die Zuschauer also bereits vor der ersten Szene auf einen Film vorbereitet. Normalerweise räkeln sich im Titel halbnackte Frauen, und der Interpret singt mehr oder weniger den "Filmtiiteeeel". Zwar schatteten auch die meisten früheren Titel Themen und Schlüsselelemente des Films vor, aber die entsprechenden Filme würden auch sehr gut ohne sie funktionieren.
Writing's On The Wall richtet dagegen schon am Anfang an den Zuschauer die Frage "Tell me is this where I give it all up?", und bereitet ihn damit auf eine außergewöhnliche Liebesbeziehung im Film vor. Während in den bisherigen Bondfilmen die Handlung für die Titelanimation samt Song gewissermaßen kurz ausgeblendet wurde, ist der Gesang und die Bilder des Titels hier Teil der Geschichte, der erzählerischen Mittel.
Ende letzten Jahres veröffentlichte die britische Band Radiohead ihre Version des Titelsongs zu SPECTRE. Interessanterweise wirkt sie dem letztendlichen Lied von Sam Smith sehr ähnlich. Die Anforderung an den Song seitens Sam Mendes scheint also recht eindeutig gewesen zu sein: Eine außergewöhnlich gefühlvolle Ballade, die die Exklusivität der Beziehung zwischen Bond und Madeleine bereits zu einem Zeitpunkt etabliert, in dem das Drehbuch das noch nicht leisten kann. Der erstmals eingesetzte Falsett-Gesang - der sowohl die Radiohead-Version als auch die von Smith kennzeichnet - hebt den Song von franchise-üblichen Balladen wie etwa Nobody Does It Better oder All Time High ab, und versinnbildlicht eine gewisse männliche Verletzbarkeit. (Insofern mögen die zahlreichen weiblichen Interpretationen des Liedes im Internet auf viele Hörer versöhnlicher wirken, sie rauben ihm aber auch seine Exklusivität, mal ganz abgesehen davon, dass die Lyrics eindeutig Bonds Perspektive einnehmen.)
Die entscheidende Frage wäre nun, ob der Einsatz des Titelsongs nicht nur als Untermalung und Vermarktungshilfe, sondern als gleichberechtigtes dramaturgisches Mittel einen Makel darstellt, oder nicht vielleicht eher eine sehr zeitgemäße und clevere Innovation.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen