Donnerstag, 5. Dezember 2013

Die Dramaturgie der Bondfilme: Midpoint und Goldener Schnitt

Filme unterliegen in gewisser Weise auch der Schwerkraft. Sie haben einen interessanten Aufhänger und ein spektakuläres Finale, aber oft neigen sie dazu, in der Mitte etwas durchzuhängen und sich in die Länge zu ziehen. Um diesem langen zweiten Akt eine Stütze zu geben und die Handlung aufzulockern, gibt es im sogenannten Midpoint oft einen entscheidenden Höhe- oder Tiefpunkt, oder einen bedeutenden Richtungswechsel in der Handlung oder der Tonalität. Solch ein Wendepunkt teilt den zweiten Akt dann noch einmal in zwei Unter-Akte. Eine Untersuchung der Mittelszenen der Bondfilme birgt einige sehr interessante Erkenntnisse!





Das einfachste Mittel, um den zweiten Akt aufzulockern und den Midpoint zu gestalten, bieten Actionszenen. Bei Bond vorzugsweise Verfolgungunsjagden. So findet sich beispielsweise in DR. NO genau in der Mitte die Autoverfolgungsjagd, die mit einer Explosion des gegnerischen Wagens und dem ersten Oneliner der Bondgeschichte endet. In DIAMONDS ARE FOREVER ist es die große Verfolgungsjagd mit dem Mondauto durch die Wüste und anschließender Autojagd durch Las Vegas. LIVE AND LET DIE bietet eine Jagd mit einem Doppeldeckerbus, TOMORROW NEVER DIES eine mit dem BMW.

Goldener Schnitt in Leonardo da Vincis Abendmahl
Goldener Schnitt in einem Gemälde
Die großen Wende- und Höhepunkte sind in vielen Filmen auch leicht in Richtung zweite Hälfte verschoben, und befinden sich ziemlich exakt im Goldenen Schnitt der Zeitleiste. Der Goldene Schnitt bezeichnet ein bestimmtes Verhältnis zweier Strecken zueinander, das als besonders ästhetisch empfunden und auch in der Bildgestaltung benutzt wird.

In THE SPY WHO LOVED ME und MOONRAKER befinden sich die großen Jagden mit dem Lotus und dem Q-Spezialboot jeweils um diesen Goldenen Schnitt herum.


Im Modell der klassischen Heldenreise erreichen die Protagonisten oft genau in der Mitte der Geschichte ihr gefährliches Ziel, aufgrund der meist gleich langen Hin- und Rückreise. (Mehr zu dem Thema auch hier) In Bondfilmen befindet sich 007 hier buchstäblich in der Höhle des Löwen, oder der eigentliche Gegenspieler lässt seine Maskierung fallen. In GOLDFINGER ist es die berühmte Lasertisch-Szene. In OCTOPUSSY trifft Bond erstmalig auf die titelgebende mysteriöse Octopussy. In LICENCE TO KILL trifft Bond im Midpoint zum ersten Mal persönlich auf Sanchez und befindet sich unbewaffnet in dessen "Höhle" in Isthmus City.

Ein klassisches Beispiel ist auch GOLDENEYE, wo sich Trevelyan auf dem düsteren Statuenfriedhof zu erkennen gibt und Bond danach bewusstlos dem Tod überlässt. In THE WORLD IS NOT ENOUGH befindet sich Bond im Atombunker und trifft erstmals auf Renard. Sehr klassisch auch SKYFALL, wo Bond exakt in der Mitte von Silva gestellt wird und danach die Rückreise nach London antritt.

Beispiele für derartige Szenen im Goldenen Schnitt sind das Treffen auf Blofeld im Las-Vegas-Penthouse in DIAMONDS ARE FOREVER, die Demaskierung von Kananga in LIVE AND LET DIE und das erstmalige Treffen auf Scaramanga in THE MAN WITH THE GOLDEN GUN.


Einige Regisseure setzen in der Mitte auch auf einen, dem jeweiligen Filmende entgegengesetzen Höhe- oder Tiefpunkt, oft in Form einer einzelnen aussagekräftigen Szene. In QUANTUM OF SOLACE geht es für Bond darum, nach dem Verlust von Vesper "Trost" oder eine gewisse Stabilität im Leben wieder zu finden. Die genaue Mitte des Films zeigt ihn am weitesten von diesem Ziel entfernt: Betrunken vor einem Bild von Vesper sitzend, und noch nicht einmal wissend, wie viele Cocktails er genau hatte. (Mehr zur Bildsprache dieses Films hier)


Sehr häufig findet man in den Bondfilmen einen entscheidenden Wechsel in der Tonalität des Films, ziemlich genau auf dem Goldenen Schnitt. Da Bondfilme in der Regel positiv enden, ist das in Kontrast dazu ein Tiefpunkt. Der gegnerischen Seite gelingt ein entscheidender Schlag, oft wie beim Schach durch das Ausschalten einer wichtigen Spielfigur der Guten.

In FROM RUSSIA WITH LOVE ist es der Tod von Kerim Bay, in YOU ONLY LIVE TWICE der Tod von Aki, in THE MAN WITH THE GOLDEN GUN der von Andrea, der außerdem mit dem Treffen auf den Schurken zusammenfällt. In OCTOPUSSY stirbt Vijay und der Film wechselt daraufhin nach Deutschland, wo die Tonalität ernster wird. Auch in THE LIVING DAYLIGHTS gibt es im Goldenen Schnitt einen großen Location-Wechsel, wenn Bond betäubt und nach Afghanistan verschleppt wird. In THE WORLD IS NOT ENOUGH gelingt es Elektra scheinbar, Bond zu töten, und sie gibt ihr wahres Gesicht preis, was der Handlung eine neue Dimension verleiht.

In CASINO ROYALE ist es ein buchstäblicher Sieg des Gegners am Spieltisch exakt im Goldenen Schnitt, bei dem Bond scheinbar alles verliert. SKYFALL dagegen ändert die Richtung am Goldenen Schnitt in Richtung der guten Seite. Bond kann Silvas Attentat im Gericht verhindert, und nimmt mit M daraufhin eine wichtige Spielfigur vom Feld. Auch das hat wiederum einen entscheidenden Wechsel der Handlungsorte und damit der Stimmung zur Folge. Der Film wird ab hier zu einer 'Reise in die Vergangenheit'.

Auffällig ist auf jeden Fall, dass genau im Goldenen Schnitt in vielen Filmen ein Moment großer Todesnähe erreicht wird, entweder für Bond oder stellvertretend für andere Charaktere. Sehr oft ist Bond dann auch bewusstlos. So etwa in DR. NO, wo er am Strand wach wird und auf Honey trifft (die Guten also eine Figur gewinnen). YOU ONLY LIVE TWICE zeigt Bond schlafend, wobei Aki stellvertretend für ihn stirbt. In DIAMONDS ARE FOREVER und LIVE AND LET DIE wird Bond nach der Begegnung mit dem Villain bewusstlos. In THE LIVING DAYLIGHTS wacht er im Flugzeug auf, und in LICENCE TO KILL wird er von Ninja mattgesetzt.

Bei ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE sind es stellvertretend die Girls, die hypnotisiert sind und von Blofeld ihre endgültigen Befehle erhalten, während Bond seine Flucht vorbereitet. In DIE ANOTHER DAY ist es interessanterweise Jinx, die wach wird und an die Lasermaschine gefesselt ist. Eigentlich müsste sich Bond an dieser Stelle in höchster Gefahr befinden. Vielleicht war das mit ein Grund, warum Jinx als Figur für viele Zuschauer zu dominant wirkte und nicht funktionierte.


Siehe auch Teil 1: Der Auslöser!


Bildquelle Bild 1

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