Donnerstag, 21. Februar 2013

"Macht(t)räume"

Der Production Designer Ken Adam und die James-Bond-Filme

Mit der Neuausrichtung seit CASINO ROYALE gewann das Bond-Franchise nicht nur finanziellen Erfolg, sondern auch eine gewisse künstlerische Anerkennung, die früher verwehrt blieb. So erhielt SKYFALL mehr Oscar-Nominierungen als jeder andere Bondfilm bis dato. (Wie viele Oscars der Film davon wirklich erhält, wird sich am Sonntag zeigen) Bond wird quasi ernstgenommen, seit er sich selbst ernstnimmt. Die Wahrnehmung der früheren Bondfilme unter künstlerischen Aspekten findet dagegen immer noch eher marginal statt, obwohl sie es nicht minder verdienen. Das Buch Macht(t)räume von Petra Kissling-Koch liefert mit einer detailierten Analyse und architektonischen Einordnung des Produktionsdesigns in Bondfilmen von Sir Ken Adam einen wichtigen Beitrag in dieser ernsthaften wissenschaftlich-künstlerischen Wahrnehmung der früheren Bondfilme.



Interessant dabei ist, dass Ken Adam selbst bei der wissenschaftlichen Betrachtung seiner Leistungen für die James-Bond-Filme eher skeptisch wirkt, wie die Interviews am Ende des Buches zeigen. "Aber sie reden immer von den Bonds", sagt er, "zur selben Zeit habe ich DR. STRANGELOVE gemacht". In einem anderen zitierten Interview über die Arbeit an Kubricks BARRY LYNDON, für den Adam einen Academy Award erhielt, sagt er: "I never received an Academy Award for the James Bond films where my contribution was far more important. James Bond is not regarded as art!" (Für THE SPY WHO LOVED ME war er immerhin nominiert)
Station Canary Wharf (wikipedia)

Dabei waren Adams Ausstattungen für die Bondfilme ausnahmslos oscarwürdig, was nicht zuletzt ihr Einfluss auf Filmgeschichte und auch Architektur beweist. So ließ sich beispielsweise Star-Architekt Norman Forster für das Design der Londoner U-Bahnstation Canary Wharf von Adams Supertanker Liparus aus THE SPY WHO LOVED ME inspirieren. (Eine schöne Referenz wäre es gewesen, diese Station in SKYFALL einzubauen, wenn Bond schon mal in der Tube ist...)

Die verspielt-geniale Filmarchitektur von Ken Adam ist auch für mich persönlich ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesamtfaszination Bond, und trug dazu bei, dass ich überhaupt Fan wurde. Immerhin war YOU ONLY LIVE TWICE mein erster Bond im Fernsehen. Ein Buch, das sich ausschließlich und detailiert den Bond-Kulissen von Ken Adam widmet ist daher ein echter Fan-Traum!

Das Buch Macht(t)räume gliedert sich in acht Teile. Der erste behandelt die Entstehung und Entwicklung der Bondfilme und die Filmarchitektur Ken Adams. Im zweiten geht es um die literarischen Quellen, die Bondromane von Ian Fleming. Interessant fand ich hier, dass die Fleming-Romane zwar vieles nicht vorgaben, jedoch auch viele entscheidende Anregungen gaben, was das Design der Filme angeht. Immerhin liest man ja nicht selten, dass die Figur Bond erst durch filmische Zutaten zum Erfolg geworden sein soll.

Die nächsten Kapitel widmen sich der Filmarchitektur und ihren Einflüssen. Zum einen werden die fiktiven Macht- und Kontrollräume realen Architekturen aus der jüngeren Geschichte gegenübergestellt. Daraus ergeben sich bemerkenswerte Parallelen, die - da Adam im Interview eine bewusste Inspiration verneint - auf grundsätzliche architektonische und psychologische Prinzipien zurückzuführen sind. Im Vordergrund stehen dabei nationalsozialistische Architekturbeispiele, aber zum Teil auch Räume aus der bundesdeutschen oder britischen Geschichte.

Äußerst interessant ist schließlich der Teil, der Adams Bauten mit zeitgenössischer Innenarchitektur, vor allem des american style, vergleicht. Hier sind die auch mit zahlreiche Fotografien belegten Parallelen wirklich beeindruckend, und es zeigt sich, dass sich Adam durch gegenwärtige und zukunftsweisende Trends stärker beeinflussen ließ als durch vergangene, wie etwa dem Bauhaus.

Die Inneneinrichtungen der Bösewichte waren trotz ihrer Übertreibung Ausdruck des Zeitgeistes und jeweils aktueller Trends und Sehnsüchte. Ich denke, das ist eins der Erfolgsgeheimnisse des Bondfranchises - den Antagonisten eine gewisse Coolness und echte Überlegenheit zuzugestehen, was sich sehr stark in ihrem architektonischen Geschmack und Leistungen widerspiegelt. Insofern ist es nur konsequent, wenn Petra Kissling-Koch schreibt: "Die Untersuchung der Machträume lässt erkennen, dass die Extravaganz der Architektur das eigentliche Hindernis für James Bond ist, weniger die Erbauer selbst. Nicht Dr. No, Blofeld, Drax oder Stromberg sind die Gegner, die besiegt werden müssen. Es sind ihre erbauten Wunderwelten mit ihren technisch perfekten Systemen, von denen eine besondere Faszination ausgeht." Verständlich wird daran auch, dass Ken Adam selbst an den neueren Bondfilmen vor allem die Schurken kritisiert. (Nach seinem letzten Bondfilm MOONRAKER arbeitete er nur noch an dem Computerspiel GOLDENEYE: ROGUE AGENT mit)

Dem gegenüber steht Bond, der als dynamische Figur und Jetsetter über keine bemerkenswerten eigenen Räume verfügt, und sich meist in Hotelzimmern, Casinos oder den Räumen des MI6 aufhält. Erstmals mit SKYFALL hat man dieses Prinzip durchbrochen und auch Bond selbst eine eigene eindrucksvolle Architektur zugestanden, auch wenn diese letztendlich effektvoll zerstört wird.

Weitere Kapitel thematisieren schließlich den Stellenwert der Bondkulissen Adams in der Geschichte der Filmarchitektur, Adams Entwurf- und Zeichentechnik sowie das kulturelle Phänomen James Bond an sich. Obwohl es bereits einige Bücher über Sir Ken Adam gibt, ist Macht(t)räume von Petra Kissling-Koch in seiner Detailfülle und Genauigkeit einmalig, und liefert Erkenntnisse, die über rein biographische und beschreibende Literatur hinausgehen. Lesenswert ist es nicht nur für Bondfans, sondern auch für Film- und Kunsthistoriker, angehende Szenenbildner und für allgemein Filminteressierte.

Über die Autorin: Petra Kissling-Koch, Dipl. Ing. M.A., geb. 1972, studierte Innenarchitektur, Kunstgeschichte, Italienische Philologie und Volkskunde in Wiesbaden, Mainz, Perugia und Bonn, promovierte 2010 mit einer Dissertation über Ken Adam und die James-Bond-Filme an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn; sie lebt und arbeitet in München. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich vor allem mit Kunst- und Kulturströmungen der 50er, 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, insbesondere aus den Bereichen Film, Architektur, Design und Wohnen.


Petra Kissling-Koch
Macht(t)räume
Der Production Designer Ken Adam und die James-Bond-Filme
Medien/Kultur 4

232 Seiten / 16 Seiten in Farbe
123 Fotos
Paperback, 14,8 x 21 cm
Artikelnummer 978-3-86505-396-1
Erschienen im Juli 2012

1 Kommentar:

  1. Interessanter Artikel zum Buch von der Universität Bonn von 2010:

    http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/312-2010

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