Freitag, 27. Juli 2012

Realität versus Kino

Knapp eine Woche nach dem Amoklauf in einem Kino im US-amerikanischen Aurora und vor dem ersten Wochenende von THE DARK KNIGHT RISES in Deutschland wird zur Zeit wieder die Frage nach der Mitverantwortlichkeit der Medien an Gewaltakten gestellt. Die Frage an sich ist wahrscheinlich so alt wie Unterhaltungsmedien selbst. Bereits Goethe wurde beispielsweise Ende des 18. Jahrhunderts vorgeworfen, mit seinem Roman Die Leiden des jungen Werther eine Selbstmordwelle unter Jugendlichen ausgelöst zu haben.





Obwohl ich selbst sowohl begeisterter Medienkonsument als auch -produzent bin (u.a. in Form von Kurzfilmen, -Geschichten und Drehbüchern) würde ich vor allem Kino, Fernsehen und Computerspiele nicht völlig von jedem Vorwurf freisprechen. Die Meinung vieler Film- und Spielefans kommt wohl sehr gut in einem Zitat aus der Horror-Parodie SCREAM (1996) zum Ausdruck: "Movies don't create psychos. Movies make psychos more creative." Soll heißen: "Normale" Menschen können praktisch alles ohne Gefahr ansehen oder als Simulation durchspielen, weil sie zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können, während die Psychos das eben nicht können.
Die Realität sieht jedoch wie so oft nicht ganz so einfach aus. Vor allem im Bereich Horror werden immer psychopathischere Gewaltphantasien als innovatives Erzählen verkauft. Die Geschichte des Horrorfilms könnte man im Prinzip als eine Geschichte der moralischen Abstumpfung bezeichnen. Ähnliches gilt zu einem großen Teil auch für andere Genres und Medien. Die Vorstellung, dass ein medialer Gewaltkonsum kathartisch wirkt - man also virtuell mal Dampf ablässt und es einem danach besser geht - ist dabei allerdings sehr fragwürdig. Interessant ist dazu ein Interview mit dem Militärpsychologen Dave Grossman - Gewalt ist lernbar"Was man in den ersten Lebensjahren lernt, kann nicht wieder ausgelöscht werden. Kinder, die tagtäglich Gewaltexzesse in den Medien sehen, entwickeln eine Art "Böse-Welt-Syndrom". Sie werden nicht zwangsläufig kriminell, aber sie akzeptieren Gewalt in ihrem Leben leichter als andere. Das ist der Anfang." - "[...] sie haben Spaß daran. Und da findet die typische klassische Konditionierung statt, die beim Militär tabu ist. Der Teenager sieht, wie Menschen gefoltert und grausam umgebracht werden, gleichzeitig trinkt er seine Lieblings-Cola und schmust mit der Freundin. Intensiver kann die Verbindung zwischen Gewalt und schönen Gefühlen kaum sein. Nachdem zwei Jungen, 11 und 13 Jahre alt, auf Mitschüler in Jonesboro geschossen hatten, informierte die Lehrerin in der benachbarten High School ihre Klasse über die Tragödie. Da haben manche Kids gelacht! Sie haben gelernt, den Tod lustig zu finden."
Mit THE DARK KNIGHT RISES wurde nun allerdings gerade ein Film durch eine Gewalttat überschattet, der sich sehr intelligent und kritisch mit eben solchen gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt. Wenn man jedoch liest, dass in der Mitternachtsvorstellung eines Films, der wegen intensiver Gewalt- und Actionszenen erst für Kinder ab 13 Jahren empfohlen wurde (die Altersfreigabe ist in den USA eh weniger streng als hierzulande) sechsjährige Kinder und sogar ein drei Monate altes Baby waren, dann ist das ein trauriger Beweis für die von Grossman und anderen angesprochene Problematik der alltäglichen Gewaltkonditionerung von Kindern und Jugendlichen.

Neben den üblichen Verdächtigen Medien und Waffen scheint an dieser Tragödie aber auch ein Faktor beteiligt gewesen zu sein, von den man selten bis gar nicht in den Nachrichtenmeldungen hört oder liest. Wie fast alle jugendlichen Amokläufer war auch James Holmes in psychiatrischer Behandlung. Und "in psychiatrischer Behandlung" heißt in der Praxis meist nichts anderes als auf diverse Psychopharmaka "eingestellt". Ein Zusammenhang zwischen der Erschließung von Kindern und Jugendlichen als Zielgruppe der Pharmaindustrie und vermehrten jugendlichen Selbstmorden, Morden und anderen Gewalttaten zeichnet sich zunehmend ab. Wenn man liest, dass Holmes während der Vernehmung apathisch "wie unter Drogen" wirkt und gestützt werden muss, erhärtet sich dieser Verdacht.

Bereits der Vorgängerfilm THE DARK KNIGHT wurde von der Tragödie des Todes von Heath Ledger überschattet, der wie zahlreiche andere Prominente durch einen Medikamentencocktail starb. Auch in diesen Fällen wird erstaunlich selten eine Mitverantwortung von Industrie und Ärzten in Erwägung gezogen - wie es beispielsweise beim tragischen Tod von Michael Jackson der Fall war.

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